Aachener Zeitung: Im deutschen Interesse / Nicht auftrumpfen, sondern integrieren / Kommentar von Peter Pappert

Wenn der Bundestag heute darüber debattiert und
abstimmt, wie Griechenland weiterhin geholfen werden soll, ist es im
deutschen Interesse, Überlegenheitstöne zu vermeiden. Seit dem
Wochenende sind in Europa antideutsche Ressentiments weit verbreitet.
Kritik an der Berliner Politik und Warnungen vor einer
politisch-ökonomischen Dominanz Deutschlands kommen nicht nur von
politischen oder twitternden Heißspornen, sondern auch von seriösen
Medien und Politikern. Darauf beleidigt zu reagieren, führt zu
nichts. Das griechische Parlament hat gestern Ja gesagt zu den
Bedingungen für ein neues Hilfspaket; es bleiben berechtigte Zweifel,
ob es das Programm auch umsetzt. Der Kompromiss vom Wochenende
enthält Auflagen, die vernünftig sind (Reformen im Steuer- und
Rentensystem und in der öffentlichen Verwaltung), und andere, die
kaum realistisch erscheinen (kein Schuldenschnitt, ein Treuhandfonds,
der 50 Milliarden Euro bringen soll). Für das deutsche Parlament
kommt es heute nicht nur darauf an, was gesagt wird, sondern auch,
welcher Ton gewählt wird. Die Abgeordneten sollten nicht vergessen,
was immer entscheidendes Kriterium bundesrepublikanischer Politik
gewesen ist: Einigung mit den Nachbarn und Partnern ist ein Wert an
sich.

Von Extremisten verachtet

Dabei wird leider immer offensichtlicher, dass es auf
entscheidenden Feldern keinen Grundkonsens gibt. Nicht nur in
ökonomischen, sondern auch in grundsätzlichen Fragen (Umgang mit
Flüchtlingen) tun sich Gräben auf. Europa ist gespalten und umso mehr
auf Kompromisse angewiesen. Die werden von rechten wie linken
Extremisten verachtet; sie sind aber ein hohes Gut in einer
Gemeinschaft von 28 Staaten. Die Radikalen an den Rändern erhalten
Zulauf, Feindbilder werden wiederbelebt, die Zustimmung zum
Integrationsprojekt sinkt. Dagegen sollten die Besonnenen
zusammenstehen. Die Deutschen legen zurecht viel Wert auf politische
und ökonomische Stabilität. Die Grundbedingung dafür ist seit
Jahrzehnten, dass ihr Land trotz seiner Stärke nicht auftrumpft,
sondern in der Europäischen Union nur abgestimmt und in engster
Kooperation mit Frankreich vorgeht. Anderenfalls weckt man nur neue
alte Ängste und Vorbehalte. Die gibt es; mögen sie nun übertrieben
sein oder nicht. Der wirtschaftlich Stärkste und politisch Mächtigste
muss um des eigenen Vorteils willen zurückstecken. Das ist die
Erkenntnis seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dahinter
will hoffentlich niemand mehr zurück.

2,2 Billionen Euro

Mittlerweile weiß man, dass Schäuble in der berühmt-berüchtigten
Brüsseler Nacht keineswegs allein stand und gar nicht mal der
Schärfste war. Seine Verärgerung über Unverschämtheiten und
Unzuverlässigkeiten griechischer Regierungspolitiker ist
verständlich. Sarkastische Bemerkungen zu machen und Pläne auf den
Tisch zu knallen, die provozieren, mag Athens Einsicht befördert
haben; klug war es nicht. In der EU zu polarisieren, ist nicht
Aufgabe deutscher Politik. Die Unionsfraktion sollte sich gut
überlegen, ob sie heute ihren Finanzminister wegen dessen Härte
demonstrativ feiert. Die deutsche Position würde dadurch nicht
gestärkt. Die deutschen Vorstellungen von fiskalischer Strenge und
ökonomischer Disziplin sind in Europa nicht mehrheitsfähig; das zu
akzeptieren, ist vernünftig und richtig, denn die Gemeinsamkeit ist
das höhere Gut. Alleine würde Deutschland in sparsamer Schönheit
sterben. Andererseits: Politiker eines Staates mit einer
Gesamtverschuldung von mehr als 2,2 Billionen Euro (2200 000 000 000
Euro) sollten nicht so tun, als wüssten sie überhaupt nicht, wie auf
Pump Politik gemacht wird.

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