Aachener Zeitung: Kommentar Der reife Sieger Löws Anspruch auf ein exzellentes Führungszeugnis Bernd Mathieu

Nur wer sich ändert, bleibt sich treu. Und wer das
ohne große Verlautbarung tut, wird am Ende damit Erfolg haben. Wie
das funktionieren kann, hat der „neue“ Joachim Löw gezeigt.

Seine Gesten am Spielfeldrand, sein ehrlicher Respekt vor dem
Gegner und sogar vor den Medien, die ihn unter unfreundlichen
Dauerbeschuss genommen hatten, waren bei dieser
Fußball-Weltmeisterschaft deutliche Indizien für den anderen Stil.

Löw, der sich im EM-Halbfinale 2012 mit seiner Aufstellung und
Taktik gegen Italien ziemlich „vercoacht“ hatte, ist immer wieder
kritisiert worden. Warum hält er an Schweinsteiger und Podolski fest?
Warum gelingt es ihm nicht, neben Lahm einen weiteren
Außenverteidiger zu etablieren? Warum fährt er nur mit einem Stürmer
zur WM? Diese „Warums“ waren Teile einer ständigen Demontage mit der
Botschaft: Der kann es nicht, der holt nie einen Titel.

Nun müssen wir uns revidieren. Zum guten Schluss zählt der
Titelgewinn. Da interessiert es niemanden mehr, dass wir gegen Ghana
nur auf Augenhöhe agierten und uns die USA und Algerien mehr Probleme
bereiteten, als wirklich zu erwarten waren.

Löw hat diese Rumpel-Stationen der WM konstruktiv verarbeitet und
die richtigen Konsequenzen gezogen: Längst ist er souverän genug, aus
Fehlern zu lernen und auf jede Form von Beratungsresistenz zu
verzichten.

Dieser Joachim Löw wirkte konzentriert wie selten. Er achtete
darauf, dass die Balance aus Schönspielerei und Anstrengung, aus
individuellem Können und ausgeprägtem Team-Spirit, aus Lockerheit und
Disziplin stimmte. Er ist in der Lage, sich von Ideen zu trennen und
Irrtümer zu korrigieren. Das macht den großen Trainer aus.

Wenn es darauf ankam, wechselte er das richtige Personal ein –
seine „Spezialkräfte“. Sie waren überzeugende Argumente für die
These, seine Mannschaft bestehe aus 23 Spielern. Auch das hat viel
mit Führungsstil, Unternehmenskultur und Anerkennung der
unterschiedlichen Persönlichkeiten in seiner „Firma“ zu tun.

Der Weltmeister Löw ist kein angeberischer Held, diese Rolle passt
nicht zu seinem defensiven Charakter. Aber nach dieser WM hat er
Anspruch auf ein exzellentes Führungszeugnis. Er hat es geschafft,
dass in seiner munteren Truppe niemand aus der Reihe tanzte. Er hat
ihr vermitteln können, welche Hauptrollen neben Talent und Technik
Anstrengung und ernsthafte Zielstrebigkeit spielen.

Nach dem Finale sah man einen feiernden und gleichzeitig noch
immer aufmerksamen Bundestrainer, der auch den Spielerfrauen
gratulierte und mit den kleinen Kloses und dem Mini-Podolski
plauderte. Er ist angenehm sicher im Auftreten und hatte das vor
allem nach dem Kantersieg gegen Brasilien demonstriert: ohne
überhebliches Mitleid, sondern mit ernst gemeintem Mitgefühl. So wie
Löw sehen reife Sieger aus. Sie sind eine gute Visitenkarte für ganz
Deutschland.

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