Die Aufgabe ist angesichts zäher Probleme der
katholischen Kirche in Deutschland nicht attraktiv. Trotzdem darf man
dem Münchener Kardinal glauben, dass ihm sein neues Amt als
Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) gefällt. Niemand
sonst unter den gut zwei Dutzend Diözesanbischöfen würde so viel
Freude daran haben. Das liegt daran, dass Reinhard Marx Spaß macht,
was den meisten seiner Amtsbrüder nicht liegt: der machtbewusste
Auftritt. Sein Vorteil gegenüber Konkurrenten: Er ist hierzulande und
in Rom schon einflussreich; er muss es nicht erst werden.
Neuer Stil
Die Zeiten von Benedikt XVI. und Robert Zollitsch – bedächtig,
betulich, salbungsvoll – sind vorbei. Franziskus und Marx stehen für
einen anderen Stil: zupackend, voller Elan, kämpferisch. Der neue
DBK-Chef wird der Politik in Sozial- und Wirtschaftsfragen die
Leviten lesen. Das ist Marx weniger seinem berühmten Namensvetter
schuldig als vielmehr jenen Überzeugungen von Solidarität und
Nächstenliebe, die er mit Franziskus teilt. Zwar liegt dem Kardinal
durchaus das Barocke, für das Franziskus nun wahrlich nicht steht.
Aber beide haben die Schattenseiten der Globalisierung und des
Kapitalismus“ fest im Blick und sehen in ihrer Kirche erheblichen
Reformbedarf. Schließlich ist Marx als Mitglied des achtköpfigen
Kardinalsrats (K8), der mit Franziskus die Kurie reformieren soll,
ein enger Berater des Papstes.
Hohe Prinzipien
Allerdings steht Marx in Fragen, die die Kirchenlehre, das
Verhältnis von Weltkirche und Ortskirchen und die Seelsorge
betreffen, bislang nicht in dem Maße für Offenheit und Modernisierung
wie Karl Lehmann oder Heinrich Mussinghoff, wie Franz-Josef Bode oder
Stephan Ackermann. Wobei solche Zuschreibungen den Medien oft
vorgehalten werden: Man dürfe die Betreffenden nicht immer gleich in
Schubladen pressen, sondern müsse ihnen die Chance geben, sich im Amt
zu profilieren. Doch niemand darf sich beschweren, wenn man ihn an
seinen eigenen Aussagen misst. Marx ist nicht stockkonservativ; aber
in den hierzulande die Katholiken besonders bewegenden Fragen hat er
sich noch nicht als fortschrittlich erwiesen.
Es geht nicht darum, dass die katholische Kirche ihre
Glaubensinhalte und Prinzipien ändert. Sie kann dabei bleiben, dass
die vor Gott geschlossene Ehe etwas für das ganze Leben ist, dass
Sexualität am besten aufgehoben ist in der Ehe zwischen Mann und
Frau. Aber wer solche Maßgaben vertritt, muss und darf nicht jene als
Sünder verurteilen, die trotz allen Bemühens diese kirchlichen
Anforderungen nicht erfüllen können und mit gutem Gewissen und
gegenseitiger Hochachtung andere Wege gehen.
Es wird auch nach den für Herbst geplanten Familiensynoden in Rom
keine Maßgabe aus dem Vatikan geben, die die kirchliche Sexualmoral,
die katholische Haltung zu Pille und außerehelichem Sex ändert oder
wiederverheiratete Geschiedene generell zur Kommunion zulässt.
Besten- und äußerstenfalls wird Rom den Ortskirchen in solchen
pastoralen Fragen mehr Entscheidungsfreiheit geben. Dann könnten sich
viele Bischöfe nicht mehr hinter Rom verstecken.
Alte Angst
Dass es ausdrücklicher Wille des Papstes ist, den
Bischofskonferenzen mehr Kompetenzen zu geben, hat Marx gestern
bestätigt. Er muss es wissen. Dann kommt es auf ihn an. Er ist in
seinem neuen Amt nicht Vorgesetzter seiner Mitbrüder, sondern
lediglich Sprecher der Bischofskonferenz, die in wichtigen Fragen der
Kirchenlehre und Seelsorge tief gespalten ist. Jetzt ist es mehr denn
je die Aufgabe dieses glaubensstarken, selbstbewussten und rhetorisch
versierten Mannes, die Aufbruchstimmung, die der Papst bewirkt hat,
zu stärken.
Mit seinem ersten Jahr im Amt hat Franziskus viele Gläubige
beflügelt und große – zu große? – Hoffnungen geweckt. Wenn die
katholische Kirche viele Gläubige erneut enttäuscht und vor den Kopf
stößt, wird sich der Exodus – leider, aber unvermeidlich – wieder
verstärken. Es ist Aufgabe des Münchener Kardinals, dem vorzubeugen
und die urkatholische Angst vor dem sogenannten Zeitgeist zu
überwinden.
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