Badische Neueste Nachrichten: Aus der Anonymität

Mit Annette Schavans Abschied geht eine Affäre
zu Ende, die in der Anonymität des Internet geboren wurde und die in
Windeseile bundesdeutsche Realpolitik beherrschte. Weit über den
Plagiatsfall hinaus ist das ein Phänomen, auf das sich die
Gesellschaft wird einstellen müssen. Es ist ein bizarres Kuriosum des
Falls, dass es um Transparenz im wissenschaftlichen Arbeiten geht,
dass aber die Urheber der Vorwürfe unerkannt bleiben. Annette Schavan
hat bei ihrem gebotenen Abschied in Form und Inhalt überzeugt. Sie
wird sich nun dem juristischen Kampf stellen, um den Doktortitel
zurückzugewinnen. Ob das juristische Ringen am Ende erfolgreich sein
wird, ist alles andere als sicher. Sicher aber ist, dass der Ausgang
des Prozesses auch entscheidend dafür ist, welches Bild von einer
Politikerin zurückbleibt, die acht Jahre lang als Bildungsministerin
wirkte, dabei nüchtern, seriös und sachorientiert arbeitete, aber mit
keinem großen Thema erfolgreich war. Was nicht verwundert, denn die
Bundesbildungspolitik ist von besonderer Zwiegestalt – die Aufgabe
ist top, das Amt aber ein Flop. Mehr als kosmetisch und atmosphärisch
kann ein Bundesbildungsminister im Kompetenzstreit zwischen Land und
Bund nicht agieren. Und da, wo Berlin zuletzt kraftvoll
intervenierte, kam nicht immer Gutes dabei heraus. Das belastet auch
die Bilanz der nun ausgeschiedenen Ministerin: Sie hat den unter
ihrer sozialdemokratischen Vorgängerin Edelgard Buhlmann
eingeleiteten Prozess, deutsche Hochschulen nach angelsächsischem
Vorbild umzukrempeln, fortgeführt und dabei auch eine gewachsene
akademische Tradition zerstört. Angela Merkels Nachfolgeregelung
folgt einem mittlerweile gewohnten Ritual: Vorbei an den üblichen
Verdächtigen zieht die Kanzlerin einen Namen aus dem Hut, an den kaum
einer dachte, aber der irgendwie folgerichtig scheint. So kurz vor
der Wahl geht Merkel keinen Umweg, es muss schließlich jemand in
ihrem Kabinett für die Bildung sprechen, der sich nicht erst lange in
die Materie einarbeiten braucht. Und der bei einer möglichen
Wahlniederlage im Herbst nicht den Wechsel ins Kabinett bereuen
müsste. Für Johanna Wanka trifft das alles in besonderem Maße zu –
sie hat eine Wahlniederlage grade schon hinter sich gebracht,
verliert den Ministertitel in Hannover und gewinnt einen neuen in
Berlin. An den strukturellen Defiziten des Ministeriums wird die Neue
in dieser Legislaturperiode nichts mehr ändern. Um es in der
kommenden wieder schlagkräftiger zu machen, bedarf es mehr als eines
entschlossenen politischen Willens. Den aber braucht es auch, um die
Prüfungsbedingungen der deutschen Hochschulen wirkungsvoller zu
gestalten. Überdies wird zu klären sein, wie die Informationspannen
an der Universität Düsseldorf zustande kamen. Und man wird auch die
Frage stellen müssen, wie verhältnismäßig das gesprochene Verdikt
über Annette Schavan ist: Schließlich hat sie über 30 Jahre lang
honorig akademische und politische Arbeit geleistet. Eine verpatzte
Doktorarbeit ist kein Kavaliersdelikt, aber sie darf auch nicht eine
gesamte Lebensleistung zerstören.

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Klaus Gaßner
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