Badische Neueste Nachrichten: Berliner Schönfärber

Es waren gespenstische Szenen, die sich am
Sonntagabend nach der Wahl in Kiel in den Zentralen der Parteien
abspielten. Da bejubelten Vorsitzende, Generalsekretäre und andere
Spitzenfunktionäre Siege, die in Wahrheit keine waren, und feierten
sich für Erfolge, die sich bei näherem Hinsehen als Niederlagen
erwiesen. Die CDU war in satter Selbstzufriedenheit schon alleine
deswegen glücklich, weil die SPD ihr Wahlziel verfehlte, dabei stand
sie selbst mit leeren Händen da. Nicht viel besser die SPD: Sie rief
sich in falscher Überheblichkeit zum Wahlsieger aus. Dabei reichte es
trotz der eklatanten Schwäche von Schwarz-Gelb und dem Scheitern der
Linkspartei wieder nicht für Rot-Grün, schlimmer noch, die
Sozialdemokraten kamen nicht einmal als stärkste Kraft über die
Ziellinie und müssen nun ein fragiles Dreierbündnis mit der Partei
der dänischen Minderheit eingehen. Zu besichtigen ist eine Große
Koalition der Wirklichkeitsverdränger und Schönfärber, die
Niederlagen kleinreden und den Misserfolg des Konkurrenten als eigene
Leistung verkaufen, womit sie unfreiwillig – zum phänomenalen
Aufstieg der Piraten beitragen. Was wiederum die strategischen
Planungen der Parteien über den Haufen wirft. Bislang konnte die
Union davon ausgehen, dass allein die Existenz der Linkspartei dafür
sorgt, dass es im Bund für Rot-Grün nicht reicht. Die Piraten
hingegen bewirken zweierlei – sie machen die Linke als Protestpartei
überflüssig und sie fischen mit großem Erfolg bei allen Parteien und
holen sich ihre Stimmen von links bis rechts. Damit aber schrumpfen
die beiden klassischen Lager, der alte Automatismus, dass die einen
an die Macht kommen, wenn die anderen die Wahl verlieren, ist außer
Kraft gesetzt, das herkömmliche Zweier-Bündnis einer großen mit einer
kleinen Partei erweist sich als zu schwach. Für die Sozialdemokraten
wird die Lage kritisch. Selbst der Zerfall von Schwarz-Gelb und die
Selbstzerfleischung der Linken nützen der SPD nichts. Solange FDP und
Grüne einander in abgrundtiefer Abneigung verbunden sind, wird es
keine Ampel geben, übrig bleibt nur die undankbare Rolle als
Juniorpartner der Union in einer Großen Koalition.

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