Joachim Gauck sorgte in Brüssel und in Straßburg
für Sympathiepunkte: Bei seinem Antrittsbesuch in den beiden
„europäischen Hauptstädten“ rührte der neue Bundespräsident gekonnt
die Werbetrommel für ein geeintes Europa. Die Charme-Offensive des
einstigen DDR-Bürgerrechtlers trug nicht nur in Brüssel Früchte.
EU-Kommissionspräsident Barroso zeigte sich beeindruckt vom neuen
Hausherrn im Berliner Schloss Bellevue. Einmal mehr erwies sich
Joachim Gauck als „Menschenfischer“, der sein Publikum mit
wohlgesetzten Worten für sich einzunehmen weiß. Dass Gauck dabei eher
die großen Linien vorgab und beim Konkreten ziemlich vage blieb,
wurde ihm gern verziehen. Die Deutschen, sonst in Brüssel als kalte
Rechner verschrien, entpuppten sich zumindest für ein paar Stunden
als begeisterte Europäer, denen es nicht nur um einen strengen
Sparkurs und milliardenschwere Fiskalpakte geht. Sowohl Barroso als
auch Gauck sind Kinder einer Zeit, in der offene Grenzen und freier
Warenverkehr noch keine Selbstverständlichkeit waren. Der Portugiese
erlebte seine Jugend in einer Diktatur, die mit der Nelkenrevolution
endete und schließlich in der EU-Mitgliedschaft mündete. Joachim
Gauck lebte jahrzehntelang unter der Knute der DDR-Diktatur bis mit
dem Fall der Mauer die Freiheit Einzug hielt. Gemeinsame
Jugenderfahrungen sorgten für eine Gesprächsatmosphäre, die man sich
öfter wünschen würde, wenn es um europapolitische Weichenstellungen
geht. Allzu oft verstellt die Tagesaktualität mit ihren
milliardenschweren Sorgen den Blick auf jene Visionen, wie sie die
Gründerväter der Gemeinschaft hatten. Europa bedeutete für sie
Freiheit – heute regiert häufig die Krämerseele über visionäre
Zukunftspläne. Willy Brandt forderte seinerzeit „Mehr Europa zu
wagen“, heute ernten ähnliche Wünsche ärgerliches Stirnrunzeln. Bei
allem berechtigten Ärger über „die da in Brüssel“ sollte das
gemeinsame Ziel nicht aus den Augen verloren werden.
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