Österreichs größte Parlamentsparteien, die
sozialdemokratische SPÖ und die konservative Volkspartei (ÖVP), haben
sich auf die Fortführung ihrer Großen Koalition geeinigt. Bis diesen
Freitag sollen die Parteigremien das ausgehandelte Koalitionspapier
absegnen. Der große Wurf wird dabei vermisst, mit grundlegenden
Reformen wird es wohl wieder nichts werden. Stattdessen wurden
Kleinigkeiten ausgehandelt, und das wochenlang.
Zwar hassen wohl an die 90 Prozent der Österreicher das
Klein-Klein ihrer ewigen Großen Koalition. Darüber aber, was eine
grundlegende Reform ist, gehen die Meinungen im Volke genauso
auseinander wie zwischen sozialdemokratischer SPÖ und konservativer
ÖVP. Die einen wollen die Gesamtschule, die anderen das Schulsystem
lieber weiter ausdifferenzieren. Die einen wollen Vermögensteuern,
die anderen Ausgaben kürzen und die Wirtschaft entlasten. Der
Kompromiss ist, dass alles so bleibt.
Schaut man sich den Status quo genauer an, können Rechts und Links
gleichermaßen zufrieden sein; vor dem Nachbarn Deutschland jedenfalls
muss das Land sich in Sachen Reform nicht verstecken. Im
Bildungswesen steht es zwar tatsächlich patt. Aber die Schultypen
sind immerhin durchlässiger als in deutschen Ländern. Das
Steuersystem ist klarer als in Deutschland; es gibt weit weniger
verwirrende Abzugsmöglichkeiten, und das antiquierte
Ehegattensplitting wurde schon vor Jahrzehnten abgeschafft. Die
Hartz-Reformen kamen hier auf leisen Sohlen: Kündigungsschutz gibt es
praktisch keinen mehr. Aber die Arbeitslosenhilfe wurde nicht
abgeschafft. Geklagt wird über das nach wie vor niedrige
Rentenantrittsalter, das die Sozialkassen belastet, kulturell aber
tief verankert ist und dem Land die niedrigsten Arbeitslosenzahlen
beschert hat. Wirtschaftlich steht Österreich, das den großen
Nachbarn schon in den späten Neunzigerjahren im Pro-Kopf-Einkommen
überholt hat, im kriselnden Europa ganz oben.
Trotzdem herrscht permanente Endzeitstimmung, ausgedrückt und
befördert von der rechten FPÖ, die im Oktober bei der Wahl wieder ein
bisschen stärker geworden ist. Rasch prophezeiten die Ersten den
Rechten schon die Machtübernahme in fünf Jahren. Ihr Vorsitzender
Heinz-Christian Strache hat seinen demagogischen Schwung stark
zurückgenommen und hofft nun, auf der Welle der schlechten Laune ins
Kanzleramt gespült zu werden. Heute kann zwar kaum mehr jemand die
Panik nachvollziehen, die Europa erfasste, als die Partei mit ihren
ausländerfeindlichen Parolen vor 14 Jahren zum ersten Mal in die
Regierung kam. Verändert aber hat sie sich kaum. Noch stärker als
unter Jörg Haider geben heute rechtsextreme Burschenschaftler den Ton
an. Und genauso wie damals hat in der FPÖ niemand die Kapazität, die
Alltagsdemagogie in Regierungshandeln umzusetzen. Als die Partei 2000
an die Macht kam, zerbröselte sie. Beim nächsten Mal wird es ihr
nicht besser gehen.
Wollte Österreich von seiner ewigen Großen Koalition auf die
europäische Normallinie mit ihren Wechseln zwischen Mitte-rechts- und
Mitte-links-Bündnissen einschwenken, müsste die ÖVP mit der FPÖ
koalieren. Anders ginge es gar nicht: Rechnet man die diversen
FPÖ-Abspaltungen hinzu, haben beide Parteien mit Ausnahme der 70er
Jahre immer eine Mehrheit im Volk gehabt. Rot-Grün war rechnerisch
noch nie möglich. Aber in einer solchen Rechtsregierung wäre die ÖVP
beim nächsten Mal schon nicht mehr die bestimmende Kraft. Um mit der
Mehrheit etwas anfangen zu können, fehlt der Partei überdies das
innere Gleichgewicht und die programmatische Geschlossenheit. Als
Juniorpartner für Straches Leute käme sie rasch unter die Räder. So
ist die ÖVP auf Gedeih und Verderb an die SPÖ gebunden. Beide
Parteien sind spiegelbildlich angelegt und bilden zusammen das
österreichische System ab: Die eine hat die Wirtschaftskammer mit
ihren vielen Klein- und Mittelbetrieben an der Seite und im Nacken,
die andere die Arbeiterkammer und die wichtigsten Gewerkschaften.
Am Verdruss der Österreicher über ihre Regierung wird sich daher
wohl nichts ändern. Dass beide Koalitionäre zusammen beim nächsten
Mal unter 50 Prozent rutschen, ist nicht unwahrscheinlich. Eine
Machtübernahme durch die FPÖ müsste aber nicht herauskommen. Mit den
Grünen und den liberalen „Neos“, die im Oktober erstmals den Sprung
ins Parlament geschafft haben, stehen zwei vernünftige und angenehm
kleine Alternativen bereit. Gegen Strache und seine Truppe steht fast
das gesamte gebildete Österreich; an den Schulen, in den Behörden,
geschweige denn an den Unis ist von dem scharfen Wind von Rechts kein
Hauch zu verspüren. Und so sehr das Genörgel auch nerven mag: Aus
bloßer Langeweile hat sich noch kein Volk einem Verführer an den Hals
geworfen.
Pressekontakt:
Badische Zeitung
Anselm Bußhoff
Telefon: 07 61 – 4 96-0
redaktion@badische-zeitung.de