Die Spanier haben ein kurzes Gedächtnis. Immer
wieder, zuletzt vor einem Jahr, sehen sie ihre beiden Exklaven auf
nordafrikanischem Boden derart gefährdet, dass sie sogar Soldaten
schicken, um Ceuta und Melilla vor dem Flüchtlingsansturm
verzweifelter Marokkaner und Schwarzafrikaner zu schützen. Wenn der
britische Landzipfel Gibraltar angeblich so grotesk ist, dann sind es
die spanischen Küstenzipfel in Marokko wohl auch. Mit welchem Recht
schimpft Madrid auf London? Es will sich mit Buenos Aires im
britisch-argentinischen Streit um die Falklandinseln verbünden, hält
aber selbst strategisch wie wirtschaftlich unbedeutende Flecken in
einem fremden Land besetzt. Das ist grotesk.
Madrid poltert, London schickt Kriegsschiffe und muss ausdrücklich
betonen, dass sie zu einer lange geplanten Übung auslaufen. Dahinter
aber steckt (auch) britisches Muskelspiel. Nie wird Großbritannien
diesen prestigeträchtigen Felsen aufgeben. Spanien weiß das, aber es
ärgert sich über diesen Stachel im Fleisch seines Stolzes und
Selbstverständnisses als zwar angeschlagene, aber dennoch große
europäische Nation. Es reagiert mit Willkür und Schikanen gegen
Touristen und britische Staatsbürger. Das ist billig.
Um Fischfangrechte geht es nicht. Es geht darum, ein altbewährtes
Mittel zur Ablenkung von eigener Schwäche zur Entfaltung zu bringen.
Die geschürte Wut auf ein Feindbild von außen fördert den inneren
Zusammenhalt und ist gut geeignet, eigene Schwächen und eigenes
Versagen zu kompensieren. Spaniens Regierungschef Rajoy sollte sich
lieber darauf konzentrieren, sein Land aus der Krise zu führen.
Gibraltar und London zu demütigen ist da besonders unklug, sichert
doch die Enklave immerhin 6000 spanische Arbeitsplätze und ist ein
Magnet für Touristen in Südspanien. Und er sollte vielleicht sein
Kabinett zur Räson rufen, dessen Mitglieder sich gegenseitig zu
überbieten suchen mit absurden Vorschlägen und damit den
Affenfelsen-Streit anheizen. Auch der Vergleich des Londoner
Bürgermeisters Boris Johnson mit Franco-Methoden ist wenig hilfreich.
Aber Rajoy kommt dieser außenpolitische Konflikt gelegen: Er gibt
der allgemeinen Frustration der Spanier ein Ventil. Und der britische
Premier Cameron freut sich über ein Wahlkampfthema, das ihn als
Staatsmann und internationalen Anwalt britischer Interessen fordert.
Eine Rolle, die er gerne spielt und in der er reüssieren kann, wenn
schon zu Hause alles schiefläuft. Der Affenfelsen ist ein nationales
Thema, eines mit großer Sympathie in der Bevölkerung. Cameron kann
damit ein Gewinnerthema im bisher müden und für ihn unvorteilhaft
verlaufenden Wahlkampf setzen.
Die beiden Nato-Partner werden es zum Äußersten nicht kommen
lassen. Aber schon das Säbelrasseln ist schädlich. Schädlich für
Spanien und Großbritannien, schädlich für Europa, das schrille Töne
nicht gebrauchen kann in einer Zeit, in der es wirklich Wichtigeres
zu regeln gibt. Das britische Kriegsschiff „HMS Westminster“ vor der
Festung Gibraltar ist ein schlechter Diplomat.
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