Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) hat
immer klar und deutlich gesagt, wohin er in der Energiepolitik will:
möglichst schnell weg von der Kernenergie und hin zu den
Erneuerbaren. Mit dem als Revolution gepriesenen Beschluss der
Regierung zur Verlängerung der Atomlaufzeiten scheint der zuständige
Minister sein Spiel also imposant verloren zu haben. Doch wer glaubt,
Röttgen sei zu einer lahmen Ente geworden, könnte sich gewaltig
irren. So schnell lässt sich der ehrgeizige Minister wohl nicht
ausbremsen. Die Aussagen Röttgens vor dem Umweltausschuss des
Bundestags zeigen, dass er sein Ziel längst noch nicht aufgegeben
hat. Er geht auf Distanz zu dem Beschluss der Regierungskoalition,
die 17 deutschen Kernkraftwerke im Durchschnitt zwölf Jahre länger am
Netz zu lassen. Auch mit dem sogenannten Geheimpapier, das die
finanziellen Ausgleichszahlungen der Energieversorger für verlängerte
Laufzeiten festlegt, will Röttgen offensichtlich nichts zu tun haben.
Und es dürfte wohl mehr als nur Unvorsicht gewesen sein, als er im
vertraulichen Gespräch mit Parteikollegen in Nordrhein-Westfalen
erklärte, Laufzeitverlängerungen von zwölf Jahren könnten ohnehin
nicht ohne Zustimmung des Bundesrats durchgesetzt werden. In der
Länderkammer hat Schwarz-Gelb keine Mehrheit mehr, um die Pläne der
Bundesregierung durchzusetzen. Und Röttgen ist eigentlich Profi
genug, um zu wissen, dass solche Äußerungen in dieser anspannten Lage
weitergetragen werden. „Die erneuerbaren Energien sind der Taktgeber
für das Energiekonzept“, hat Röttgen stets betont und sich mit dieser
Haltung beim Koalitionspartner und auch in den eigenen Reihen jede
Menge Feinde gemacht. Vor allem in der Wirtschaft. Die wehrte sich
publikumswirksam gegen die Pläne des Ministers, die Laufzeiten der
Kernkraftwerke allenfalls um einige wenige Jahre zu verlängern, und
schaltete eine bundesweite Anzeigenkampagne für deutlich längere
Laufzeiten. Röttgen galt immer als enger Vertrauter von
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Und die Kanzlerin ist einmal
angetreten, das Klima zu retten. Ein Ziel, das auch sie nie ganz aus
den Augen verloren hat. Röttgen könnte also noch zu ihrem
Vollstrecker werden. „Die Kernenergie ist eine Brückentechnologie,
bis sie durch erneuerbare Energien verlässlich ersetzt werden kann“,
heißt es denn auch im Koalitionsvertrag von Union und FDP. Die
Laufzeiten können verlängert werden, um dieses Ziel zu erreichen. Sie
müssen es aber nicht. Derzeit liefert die Kernenergie rund 23 Prozent
des Stroms. Wind, Sonne, Wasser und Biomasse haben immerhin schon
einen Anteil von rund 17 Prozent. Der Einstieg in das Zeitalter der
Erneuerbaren ist also längst vollzogen. Wenn sie erst einmal 40
Prozent des Stroms liefern, wird Kernenergie nicht mehr gebraucht.
Vom Ausbau der Stromnetze und der Entwicklung neuer
Speichertechnologien hängt es jetzt ab, wann dieser Punkt erreicht
ist. Das Tempo kann die Bundesregierung mit ihrem Energiekonzept noch
immer selbst bestimmen.
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