Erschütterung, Empörung und Nichtbegreifen, dass
eine Nazi-Bande in den vergangenen elf Jahren mitten in Deutschland
mindestens zehn Menschen ermordet hat, sind grenzenlos. Die
Bundeskanzlerin hat Recht, wenn sie von einer Schande für Deutschland
spricht. Die in Leipzig tagende CDU war denn auch gut beraten, es
nicht bei verbaler Abscheurhetorik zu belassen. Der eingebrachte
Initiativantrag, in dem die Prüfung eines erneuten NPD-Verbotsantrags
gefordert wird, geht einen Schritt weiter. Er würdigt die grausige
Dimension der bislang bekannten Mordserie an acht Deutsch-Türken,
einem Griechen und einer deutschen Polizistin. Und er ist wohl auch
eine Reaktion auf den politischen Druck aus dem In- und Ausland. Vor
allem aber ist er ein gewichtiger Schritt. Nichts darf unversucht
bleiben, endlich Licht in die Finsternis zu bringen, in der jahrelang
gemordet worden ist. Aufgehellt werden muss nicht allein alles über
die Täter und deren denkbarer weiterer Barbarei. Mindestens ebenso
wichtig ist die Aufhellung ihres politischen Umfelds, ihrer möglichen
Unterstützer und Hintermänner. Und da kommt zwangsläufig auch die NPD
ins Spiel. Dabei ist letztlich nicht entscheidend, ob die
neonazistische Bande direkte Verbindungen zu der
rechtsextremistischen Partei hatte. Zweifellos übte die NPD mit ihrer
nationalistischen, rassistischen und ausländerfeindlichen Propaganda
Wirkung und Einfluss auf das Trio aus, das sich ja wohl kaum zufällig
den Kampfnamen „Nationalsozialistischer Untergrund“ gegeben hat. Ein
Verbot der NPD erneut zu prüfen, wie es die CDU jetzt fordert, öffnet
allerdings nicht schon automatisch die Tür zu einem neuen
Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht. Denn der will – wenn
denn nach der Blamage von 2003 ein weiterer Versuch gewagt würde –
deutlich gründlicher und entsprechend der Auflagen der Karlsruher
Richter vorbereitet sein. Zugleich stellte sich einmal mehr die
Opportunitätsfrage: Was ist hilfreicher für die Bekämpfung des
Neonazismus in Deutschland und damit für die Sicherheit im Lande:
Eine die Verfassung nicht ernst nehmende NPD, über deren Tun und
Lassen aber eingeschleuste V-Leute den Sicherheitsbehörden berichten
– oder Abzug der Mittelsmänner als Voraussetzung für einen
erfolgversprechenden Verbotsantrag? Für beide Überlegungen gibt es
gute Argumente. Sie im Lichte der schrecklichen Mordserie neu zu
prüfen, liegt also auf der Hand. So verständlich dabei derzeit
Empörung und Emotion sind – am Ende muss ganz nüchtern und rational
und nach Erfolgsaussicht entschieden werden. Eine zweite Niederlage
vor Gericht darf sich die Demokratie nicht leisten. Schließlich gilt
auch das zu bedenken: Ein NPD-Verbot wäre nicht das Ende des
Rechtsextremismus, sondern sein vollständiges Abtauchen in den
Untergrund. Die Prüfung der Sinnhaftigkeit eines Verbotsantrags wird
Zeit in Anspruch nehmen. Vordringlicher ist eine andere penible
Untersuchung: Warum hat der Verfassungsschutz im Bund und in den
Länder so kläglich versagt? Steckt hinter der Hilflosigkeit der
Schlapphüte etwa System?
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