BERLINER MORGENPOST: Ein Schmuckstück in Deutschland Leitartikel von Christine Richter über Altbundeskanzler Helmut Schmidt und seine Kritik an Berlin

Schmidt-Schnauze – diesen etwas despektierlichen
Spitznamen trägt Altbundeskanzler Helmut Schmidt schon seit vielen
Jahren. Er ist bekannt für seine manchmal harschen Bemerkungen, seine
knallharte Analyse, seine deutliche Ausdrucksweise. Jetzt, im Alter
von 94 Jahren, hat Schmidt wieder einmal ein Interview gegeben, in
der Wochenzeitung „Die Zeit“, deren Herausgeber er seit Mitte der
80er-Jahre ist. Und mächtig über Berlin, das angeblich schon seit
Jahrhunderten von den anderen Ländern lebt, gelästert. Sein
wortgewaltiger Ärger macht sich am Wiederaufbau des Stadtschlosses
fest, an dem Förderverein, an dem Nutzungskonzept, an der
Finanzierung mit Bundesmitteln. Keiner brauche das Schloss, schimpfte
Schmidt. Nun, da hat der Altbundeskanzler unrecht.

Berlin braucht das Schloss, das künftig den schönen Namen
Humboldt-Forum tragen wird. Dort, in der historischen Mitte der
Stadt, dort, wo zu DDR-Zeiten der asbestverseuchte Palast der
Republik stand und heute eine große Brache ist, wird ein Zentrum für
die Berliner und ihre Besucher geschaffen. Ein Weltkultur- und
Denkort, mit wissenschaftlichen Sammlungen der Humboldt-Universität,
mit Unterstützung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Für Tagungen
und Veranstaltungen, Ausstellungen, ein Ort zum Austausch und Ideen
entwickeln. In einem Gebäude, das diesem Stadtteil seinen Schwerpunkt
zurückgibt.

Sicherlich, der Wiederaufbau des Stadtschlosses, das eigentlich
ein Neubau ist, wird viele Millionen Euro kosten. 590 Millionen Euro
sind dafür veranschlagt. Das ist eine stolze Summe, die hoffentlich
nicht mehr steigen wird – wie bei so vielen anderen Großprojekten
bundesweit. Der Förderverein Berliner Schloss, der von dem
umtriebigen Berlin-Fan Wilhelm von Boddien geleitet wird, hat sich
verpflichtet, 80 Millionen Euro für die historische
Fassadengestaltung zu sammeln. 24,5 Millionen Euro hat der Verein
schon zusammen. Wetten, dass das Ziel erreicht wird, wenn die
Bauarbeiten erst einmal begonnen haben?

Meckern über Berlin ist in diesen Tagen ja bundesweit sehr
beliebt. In Hinblick auf den Großflughafen BER ist die Kritik auch
berechtigt. Aber die undifferenzierten Äußerungen, Berlin nehme immer
nur die Milliarden von anderen Ländern, bringen keinen weiter. Das
ist Polemik, die Wiederholung eines bundesweit beliebten Klischees.
Das Thema ist unsexy, aber wahr: In der Haushaltspolitik hat der
Senat Mitte der 90er-Jahre brutal umgesteuert, seitdem wurde gespart,
bis es quietscht. Das sollte ein Altbundeskanzler anerkennen, wenn er
sich über Berlin äußert, das sollten auch die Ministerpräsidenten von
Hessen und Bayern, die gegen den Länderfinanzausgleich klagen, nicht
verschweigen.

Das Stadtschloss wird gebaut, daran wird auch Helmut Schmidt
nichts mehr ändern. Denn auch wenn es manch einer gerne verdrängt:
Der Bundestag hat den Bau beschlossen und das Geld freigegeben. Weil
Berlin die Hauptstadt aller Deutschen ist, weil das Humboldt-Forum
für alle Deutschen da sein wird – und die Stadt schmücken wird.

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