BERLINER MORGENPOST: Geld allein hilft nicht weiter/ Ein Leitartikel von Jochim Stoltenberg

Deutschland gibt viel Geld für seinen Nachwuchs
aus. Es sind hohe Milliardenbeträge, die Bund, Länder und Kommunen in
Kitas, Schulen und Universitäten investieren. In diesem Land wird
niemand ausgeschlossen, wenn es ums Lernen geht. Und doch gibt es
eine Gruppe, die sich besonders schwer damit tut, die Chancen zu
nutzen und Perspektiven über staatlich abgesicherte Sozialleistungen
hinaus zu entwickeln. Neben erfreulichen Daten im Nationalen
Bildungsbericht 2014 – wie die insgesamt steigende
Bildungsbeteiligung oder sinkende Zahl der Schulabbrecher – schält
sich eine Problemgruppe heraus, die Sorge bereitet.

Angesichts der Vielfalt der schulischen wie beruflichen
Bildungsangebote erschreckt die Bilanz, dass ein Drittel der jungen
Erwachsenen mit Migrationshintergrund keinen beruflichen Abschluss
hat. Besonders große Probleme bereiten türkischstämmige junge Männer
– fast jeder Zweite von ihnen hat keine abgeschlossene Ausbildung,
jeder Fünfte nicht einmal einen Schulabschluss. Als Grund vermuten
die Autoren der Studie „weiterhin kulturelle Unterschiede“. Da komme
man nicht voran. Ein Armutszeugnis für deutsche Integrationspolitik.
Das trifft beide Seiten. Zu lange hat die Politik zu viele Migranten
tatenlos in eine Art Parallelgesellschaft abwandern lassen. Zu viele
von ihnen wiederum haben sich verweigert, die Chancen des Landes, in
das sie ausgewandert sind, zu nutzen.

Der Bildungsbericht legt nahe, dass mit Geld allein die Grundlagen
für ein selbstständiges Leben nicht gelegt werden können.
Entscheidend für die Entwicklung von Jugendlichen bleibt das
Elternhaus. Das ist in Migrantenfamilien ja nicht anders als in
deutschen. Da gilt es viel intensiver als bisher anzusetzen und Hilfe
anzubieten, im Zweifel auch Druck auszuüben, wenn die Kinder schon
das schulische Lernen – Basis für die weitere Entwicklung – nicht so
ernst nehmen wie nötig.

Aber Schule und Noten sind nicht alles. Das hat in Berlin gerade
der Wettbewerb der Industrie- und Handelskammer um den besten
Ausbildungsbetrieb bewiesen: Viele Unternehmen geben
bildungsschwachen Jugendlichen eine zweite Chance, organisieren
Sonderunterricht und fördern die Begabung, die letztlich auch in
jedem lernschwachen Jugendlichen schlummert. Entscheidend bleibt,
irgendwann deren Willen zu wecken, etwas leisten zu wollen. Erst wenn
das gelungen ist, hilft Geld, auch noch mehr Geld, wirklich weiter,
damit kein Jugendlicher – egal welcher Herkunft- ein Leben lang
abgehängt wird.

Der Leitartikel im Internet: www.morgenpost.de/129061767

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