Berlin ist nicht Bullerbü. Und ein grünes Berlin
mit Hühnern auf der Avus und Apfelbäumen unter den Linden mag eine
schöne Idee von romantisierenden Freaks aus Mitte und Kreuzberg sein,
aber von der Realität noch ein gewaltiges Stück weit entfernt. Der
Absturz der Grünen im aktuellen Berlin-Trend ist weniger ein
Erdrutsch als die Normalisierung der politischen Verhältnisse. Die
Öko-Partei repräsentiert eben nicht den Querschnitt durchs ganze
Hauptstadtvolk, sondern den besserverdienenden, höher gebildeten
West-Berliner. Ähnlich randgruppig sind auch die ersten von Grün
gespielten Themen: Weder Tempo 30 noch Schulreform dürften
Stimmen-Holer sein. Zumal die Experten im Zuge der jüngsten
Pisa-Ergebnisse erneut betonen, dass nicht Struktur, sondern Personal
entscheidet. Gute Lehrer machen gute Schüler, in jedem Schulsystem.
Aus dem grünen Schulreform-Desaster in Hamburg hätten die
Hauptstadt-Ökos lernen können. Hinzu kommt der strategische Fehler
der Obergrünen, ihre Kandidatur viel zu früh bekannt gegeben zu
haben. Der Zauber des Ungewissen ist dahin, nun droht ein Jahr
lästige Erklärarbeit, dass es so schlimm schon nicht werde. Dabei
zeichnen sich schon die nächsten Aufreger ab – beim seltsamen Eiern
rund um den BBI zum Beispiel. In den Zulieferungen zum Wahlprogramm
wird etwa ein hundertprozentiges Rauchverbot gefordert – damit wäre
für Rabbatz in den Kiezkneipen gesorgt. Die Bayern haben es
vorgemacht. Dass die mit Fraktionsvorsitz im Bundestag und Wahlkampf
doppelt belastete Renate Künast ihre Berlin-Kampagne aus dem
Bundestags-Büro heraus steuert, spricht zudem nicht unbedingt für ein
Klima des Vertrauens zwischen Partei und Kandidatin. Wird die grüne
Kämpferin überhaupt als Hauptstadt-Politikerin wahrgenommen? Die
Prachtzahlen vom September haben die zu Selbstgerechtigkeit neigenden
Grünen geblendet und hatten für eine träge Hauptstadt-SPD zugleich
pädagogische Wirkung. Seither hat der Regierende einen Häuserkampf
der Sympathie begonnen. Verstummt sind jene Vorgartenzwerge, die auch
mal sozialdemokratische Riesen spielten wollten. Fakt ist: In Berlin
herrscht keine Wechsel-Stimmung wie 1998 bei Kohl/Schröder oder 2009
bei Bush/Obama. Im Gegenteil: Selbst eingefleischte
Wowereit-Skeptiker kommen nicht umhin, die Berliner Zahlen
anzuerkennen. Ob Wirtschaft oder Wissenschaft, Bildung oder Tourismus
– nahezu überall weisen die Kurven nach oben. Das ist nicht unbedingt
Verdienst der rot-roten Koalition. Aber immerhin haben sie den
Aufschwung auch nicht verhindert. Ein grüner Entwurf für eine bessere
Stadt, der auf dem charmanten Gedanken eines „new green deals“ fußt,
ist für Berlin dagegen nicht mal in Grundzügen sichtbar. Wo sind die
grünen Hoffnungs-, Innovations- und Gefühlsthemen, die über das
Dagegensein hinaus gehen? Die energetische Häusersanierung ist es
nicht, die Altbauten einen 30 Zentimeter dicken Panzer auferlegt und
den Mietern steigende Kosten. Grüne Politik, das bedeutet
ehrlicherweise: Raus aus der Komfortzone. Von dort aber werden sich
Wähler und Regierender nicht so einfach verjagen lassen.
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