Ein Rehkitz als letzte Liebe

Der Künstler Lambert Maria Wintersberger hatte es nicht leicht. Nicht mit sich und nicht mit dem Kunstbetrieb, den er immer wieder mit radikalem Wechsel von Stil und Sujet überraschte. Er war eine faszinierende, aber auch hoch komplizierte Persönlichkeit. „Ein Künstler, dessen Werk nicht auf der Oberfläche der Leinwand entstand sondern in der Tiefe seiner Künstlerseele, einer Seele, in der frohe, lustvolle Kräfte ständig mit düsterten, zerstörerischen Kräften rangen,“ lässt Kurator Tobias Wall zur Eröffnung der Ausstellung „Kraft – Form – Figur“ in der Galerie der Kreissparkasse Kirchheim die Gäste wissen. 2013 nahm sich der einst als „originellster Pop-Artist“ Gefeierte in seinem Atelier im Elsass das Leben.

Mit dem 72-Jährigen war einer der ganz großen Maler des 20. Jahrhunderts verstorben, einer der Malergenerationen beeinflusst hat. Die Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen widmete Lambert Maria Wintersberger bereits 2006 eine große Retrospektive. Durch die erste Schau nach seinem Tod erweist nun das Haus in Kirchheim dem Maler posthum die Ehre mit teils großformatigen Bildern aus dem Nachlass Wintersberger und mit Werken verschiedener Leihgeber. Zu sehen sind einige der „Verletzungsbilder“ aus den 60-er Jahren. Diese überlebensgroßen Arbeiten, in denen weiche, geschmeidige Formen und augenschmeichelnde Farbtöne den brutalen, Gewalt thematisierenden Inhalt konterkarieren, machten den Künstler, der einige Jahre in Stuttgart lebte, berühmt. Monströs überdimensionierte Körperteile wie Finger und Daumen werden mit Nagelzangen, Schraubzwingen und Klammern malträtiert.

Aber auch zwei der geheimnisvollen Pilzbilder sind da, ebenso wie Porträtbilder, die selten oder nie in der Öffentlichkeit gezeigt werden sowie Bronzeskulpturen und ganz späte, fast sentimentale Zeichnungen, in denen er seine letzte Liebe festhielt, ein Rehkitz, das ihm zugelaufen war.

„Er war ungeheuer wichtig. Ach was, er war der Beste“, soll der legendäre Stuttgarter Galerist Hans-Jürgen Müller über Wintersberger gesagt haben, verriet Dietmar Ederle, Regionaldirektor der Kreissparkasse Kirchheim, in seiner Begrüßungsrede. Doch man muss den Sog dieser wilden und rauschhaften Bildwelten aushalten können. Sie sind laut Kunstexperte Wall voller Rätsel und Symbole, die für Tod und Leben, für Lust und Verführung stehen: entblößte Frauenkörper, Salamander, Fruchtbarkeitsgötter.

Einer der Höhepunkte der Ausstellung ist das Ölbild „Paradies“, zweieinhalb auf drei Meter groß. Wer Urlaubsromantik auf diesem prachtvollen Karibikbild erwartet, sieht sich laut Tobias Wall mit ganz unterschiedlichen Motiven konfrontiert: „kraftvoll aber auch verstörend, das Abendlicht, eine sonderbare Farbstimmung, mildes Ocker mit grellem Rot, eine Palmallee in dreckigem Grün, dazwischen posieren Gestalten, eine aufreizende Blondine, eine Schwarze, die auf einem großen Fisch balanciert mit einem Männerkopf unter dem Arm …“. Man erkennt die Motive. Doch die Zusammenhänge bleiben rätselhaft: Paradies oder Inferno? Auf jeden Fall sehenswert.

Die Ausstellung ist bis 30. Oktober in der Galerie der Kreissparkasse Kirchheim, Alleenstraße 160, zu den üblichen Öffnungszeiten zu sehen.