FZ: Per Watschn zur Räson / Kommentar der „Fuldaer zeitung“ (Samstag, 15. Oktober 2011) zur Wahlrech

Gewiss: Es sind kniffelige Fragen, mit denen sich
die deutschen Parlamentarier beim Thema Wahlrecht in den vergangenen
Monaten herumschlagen mussten: Negatives Stimmgewicht, Algorithmen
zur Berechnung von Überhang- und Ausgleichsmandaten – das hört sich
nicht nur kompliziert an, sondern da steckt tatsächlich viel höhere
Mathematik dahinter. Und auch handfeste Politik: Vorteile für große
Parteien in ihren Hochburgen, Verteilungskämpfe um Wahlkreise und
deren Zuschnitte. Nicht zuletzt geht es aber um elementare
demokratische Rechte, wie etwa die Frage, ob jede Stimme wirklich
gleich viel Gewicht hat oder ob bestimmte Rechenmodelle ein
Wahlergebnis letztlich auf den Kopf stellen können. Umso ärgerlicher
war es für den Bürger, mit welcher Nonchalance sich das Parlament
über die Terminvorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinweggesetzt
hat. Bis zum 30. Juni sollten die Abgeordneten eigentlich ein neues
Gesetz verabschiedet haben, aber erst gestern passierte es den
Bundesrat. Dabei hat die Trödelei mitnichten zu einem großen Wurf
geführt: Mit Mühe konnte sich Schwarz-Gelb auf einen Entwurf einigen
und ihn durchboxen – von überparteilichem Konsens in einer wichtigen
Frage des Wahlrechts keine Spur. Und obendrein haben CDU und FDP
offenbar ein derart schlampig gemachtes Gesetz zusammengeschustert,
dass es möglicherweise erneut von Karlsruhe kassiert wird. Zwar
hatten die Verfassungshüter ursprünglich nur die zum Teil grotesken
Folgen des negativen Stimmgewichts gerügt und entsprechende Abhilfe
verlangt. Schließlich konnte es bislang passieren, dass sich Wähler
bei einer Nachwahl in Bremen bewusst gegen ihre favorisierte Partei
entscheiden mussten, um etwa ein in Sachsen errungenes Listenmandat
nicht zu gefährden. Doch hätte der Bundestag diesen offensichtlichen
Missstand zum Anlass nehmen sollen, eine grundsätzliche Änderung des
Wahlrechts in Angriff zu nehmen und auch die personelle Aufblähung
der Parlamente durch Überhangmandate gleich mit abzuschaffen. Drei
Jahre waren dafür Zeit genug. Aber es sieht ganz danach aus, als
ginge es den Parteien – vor allem den großen – überhaupt nicht um
eine wirkliche Änderung des Status quo. Haben sich doch CDU und SPD
an die bequemen Stimmenmehrheiten dank der föderalen Besonderheiten
des Wahlrechts gewöhnt. Offenbar bedarf es einer weiteren Watschn aus
Karlsruhe, um die Politiker endlich zur Räson zu bringen.

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Fuldaer Zeitung
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