Zu den Vorwürfen von Günter Grass gegen Oskar
Lafontaine erklärt der Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE, Gregor
Gysi:
„Sicherlich hat Günter Grass insoweit recht, dass man eine Partei,
der man seit Jahrzehnten angehört, deren Vorsitzender man war, nicht
so einfach verlässt, nicht wegen eines Beschlusses, den man nicht
teilt, nicht wegen Meinungsverschiedenheiten, nicht weil man gekränkt
wurde.
Aber wie verhält man sich, wenn eine Partei ihre wesentlichen
Prinzipien aufgibt? Was macht ein Mitglied der Union, wenn
wesentliche konservative Werte über Bord geworfen werden? Was macht
ein Mitglied der FDP, wenn wesentliche liberale Werte aufgegeben
werden? Dann ist es nicht nur gerechtfertigt, sondern gelegentlich
sogar geboten, die eigene Partei zu verlassen.
Die SPD hat sozialdemokratische Prinzipien grob verletzt und
aufgegeben, als sie als erste deutsche Regierung nach 1945 die
Beteiligung der Bundeswehr an Kriegen wie in Jugoslawien und
Afghanistan beschloss. Sie hat ihre Prinzipien mit der Agenda 2010
verraten, die mit einer gigantischen Umverteilung von unten nach
oben, mit einem nie dagewesenen Sozialabbau und mit einer bis dahin
ungekannten prekären Beschäftigung verbunden war. Deutschland ist
dadurch in Europa nach Litauen das Land mit dem größten
Niedriglohnsektor geworden.
In dieser Situation war es völlig berechtigt und geboten, dass
Oskar Lafontaine, auch um eine Zeichen zu setzen, die SPD verlassen
und zusammen mit anderen DIE LINKE gegründet hat – einmal als
eigenständige politische Kraft, zum anderen als Faktor, der die SPD
wieder zur Besinnung bringen kann. Jahrzehntelang stand die SPD nur
von rechts unter Druck, endlich auch von links.
Oskar Lafontaine und ich waren uns immer einig, dass wir bereit
sind, mit der SPD zu sprechen und auch zusammenzuarbeiten, wenn
unsere Partei dabei nicht ihre Prinzipien, nicht ihre
Eigenständigkeit aufgeben muss. Ein solcher Dialog scheitert nicht –
und das müsste auch Günter Grass wissen – an der Linken, nicht an den
Vorsitzenden, nicht an Oskar Lafontaine, nicht an mir, sondern an der
SPD. Die Union grenzt DIE LINKE im Bundestag aus, um die SPD zu
disziplinieren, die dieses Ziel nicht einmal wahrnimmt und darauf
hereinfällt.
Oskar Lafontaine ist kein Verräter und Günter Grass sollte sich
statt mit ihm besser kritisch mit seiner SPD und deren Führung
auseinandersetzen. Sein Feldzug gegen Lafontaine ist gerade heute, am
100. Todestag von August Bebel, völlig fehl am Platz. August Bebel
stünde heute der Linken deutlich näher als der SPD. Das sollte ihn in
erster Linie nachdenklich machen.
Damit kein weiteres Missverständnis entsteht: Günter Grass ist und
bleibt einer unserer größten Schriftsteller, unabhängig davon, was
über ihn noch gesagt und geschrieben wird.“
Pressekontakt:
Hendrik Thalheim
Pressesprecher
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