Ein Kommentar von Egbert Nießler
Die Erfinder des Euro hatten hehre politische Ziele: Die
gemeinsame Währung sollte das Zusammenwachsen Europas beschleunigen
und zementieren und den alten Kontinent fit für den globalen
Wettbewerb machen. Vor lauter Euphorie ob der genialen Idee und aus
Mangel an Zeit für endlose Verhandlungen hat man sich seinerzeit der
Illusion hingegeben, das gemeinsame Geld werde schon auch die
Wirtschafts- und Finanzpolitik peu à peu synchronisieren: der
entscheidende Geburtsfehler des Euro. Denn die Macht des Faktischen
war eine ganz andere als die erhoffte. Die Kern-Europäer in Berlin
und Paris rissen alsbald die selbst auferlegten Stabilitätskriterien
von Maastricht. Ungestraft. Schon als sich Italien dank seiner
kreativen Buchhaltung den Zutritt zum Euro-Club erschlich, musste
Skepsis am Regelwerk und dessen Kontrollmöglichkeiten aufkommen.
Spätestens mit dem Beitritt Griechenlands war klar, dass politischer
Wille den wirtschaftlichen Verstand dominierte. Das alles ließ sich
bis zum Ausbruch der großen Krise 2008 halbwegs kaschieren. Seitdem
jagt ein Sondergipfel den anderen, werden Rettungsschirme gespannt
und institutionalisiert. Dank ihres Geburtsfehlers ist die
Einheitswährung zum ständigen Reparaturbetrieb geworden. Nach dem
Willen von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy sollen es jetzt eine
Wirtschaftsregierung, eine in den Landesverfassungen verankerte
Schuldenbremse und eine Transaktionssteuer richten. Aber auch das
wirft zunächst mehr Fragen auf, als Antworten zu erwarten sind. Eine
Wirtschaftsregierung ist nur dann etwas wert, wenn sie demokratisch
legitimiert und handlungsfähig ist. Beides ist bisher nicht
erkennbar. Warum sollte die Schuldenbremse ernster genommen werden,
als es die Maastricht-Kriterien wurden? Und eine Transaktionssteuer
würde zwar etwas Geld in die Kassen spülen und disziplinierend auf
Börsenritter wirken – das Kernproblem kann sie nicht ansatzweise
lösen. Vielmehr handelt es sich wiederum um einige kleine Schritte
auf dem Weg zu einem europäischen Staatenbund mit gemeinsamer
Wirtschafts- und Finanzpolitik, zur weiteren Abgabe nationaler
Souveränität nach Brüssel, hin von der Währungs- auch zur
Transferunion – kurz dahin, wohin Deutschland nie wollte. Anders aber
ist der Euro nicht zu retten. Anders sind auch Politik und Ökonomie
nicht in Balance zu bringen. Wer aber nur über steigende Zinsen und
darüber klagt, statt von der eigenen Hauptstadt auch von Brüssel aus
regiert zu werden, denkt zu kurz. Erstens müssen europäische
Entscheidungen nicht automatisch schlechter als Berliner, Pariser
oder Madrider sein. Wichtiger ist deren demokratische Legitimation.
Zweitens wäre die Alternative vermutlich das Ende der gemeinsamen
Währung. Mit unabsehbaren Folgen nicht nur für die Pleitekandidaten,
sondern vor allem auch für die Wirtschaftsmacht Deutschland. Die
würde wahrscheinlich einen Großteil ihres wichtigsten Absatzmarktes –
nämlich Europa – verlieren, weil der sich die teuren Produkte made in
Germany nicht mehr leisten könnte. Das Geld aus den Rettungsschirmen,
das bisher nicht etwa an Griechenland oder Portugal verschenkt wurde,
sondern Zinsen abwirft, wäre tatsächlich weg. Und ein zersplittertes
Europa hätte es gegen die Giganten aus Asien und Amerika ungleich
schwerer als ein geeintes. Die Euro-Staaten vollführen wegen des
unvollkommenen Starts der gemeinsamen Währung derzeit manchen Umweg,
um diese zu retten. Aber auch Umwege können zum Ziel führen, und der
Weg zurück ist selten der bessere. Denn die Aufgabe der gemeinsamen
Währung wäre vermutlich nicht nur teurer als ihr Erhalt. Auch der
politische Schaden wäre immens und die Bürger würden unbezahlbare
Freiheiten und Möglichkeiten einbüßen.
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