Landeszeitung Lüneburg: Große Zukunft in der Welt des Kleinen / Nanowissenschaftler Prof. Frithjof Nolting: Grundlagenforschung ist eine Säule unserer technologischen Gesellschaft

Nano-Produkte, die aus Bauteilen von wenigen
Millionstel Millimeter bestehen, werden nach Einschätzung des Vereins
Deutscher Ingenieure bald viele Lebensbereiche durchdringen. Von
Medikamentenkapseln, die den Andock-Mechanismus an Zellen abkupfern,
bis zu ultrafesten Materialien. Andere warnen vor der „Büchse der
Pandora“, die öffnet, wer Robotik, Nanotechnologie und Gentechnik
verknüpft. Prof. Frithjof Nolting ist Nanowissenschaftler. Sein Team
fand den neuen physikalischen Effekt der Polumkehr bei Magneten durch
Hitze. Das Verfahren ist viel schneller als das übliche Umschalten
von Speichermedien durch ein Magnetfeld und benÎtigt weniger Energie.
Er zeichnet ein optimistisches Bild der kommenden Nano-Revolution.

Was würden Sie einem Kritiker antworten, der Ihre Arbeit als
Glasperlenspiel im Elfenbeinturm ohne Einfluss auf die Welt
bezeichnet?

Prof. Frithjof Nolting: Zum einen, dass er nicht ganz falsch
liegt. Aber zum anderen, dass er mit seiner Kritik komplett
missachtet, wie unsere Gesellschaft aufgebaut ist. Denn unsere
Zivilisation lebt sehr davon, dass es Technologie gibt. Und diese
Technologie ist selten dadurch entstanden, dass sie ein findiger Kopf
gezielt erfinden wollten, sondern dadurch, dass Menschen sehr
neugierig waren und Wissen entdecken wollten. Und aus diesem Wissen,
das zunächst keinen Bezug zum Leben zu haben schien, wurde eine
Technologie entwickelt, die das Leben prägt. Deshalb ist
Grundlagenforschung eine wichtige Säule unserer Gesellschaft.

Damit zu möglichen Entwicklungen aus Ihrer Grundlagenforschung:
Welchen Vorteil werden Festplatten haben, deren Nanomagnete nicht
mehr durch ein Magnetfeld, sondern durch einen Laserimpuls
„geschaltet“ werden?

Prof. Nolting: Wenn es dazu kommt, dass unsere Entdeckung in eine
derartige Anwendung mündet, besteht ein Potenzial einer erhöhten
Datenspeicherung. Man wird also deutlich mehr Informationen auf einem
kleineren Raum speichern können. Wir glauben auch, dass man beim
Speichern der Daten weniger Energie verbrauchen wird. Das klingt
zunächst widersinnig, da ein Laser ja hohe Energien notwendig macht.
Aber unsere Berechnungen ergaben einen deutlich verringerten
Energiebedarf. Etwas weiter vorausgedacht besteht auch die
Möglichkeit einer tausendmal schnelleren Datenspeicherung. Aber ich
wäre auch nicht überrascht, wenn unser Effekt in einer gänzlich
anderen Weise angewendet werden würde. Wir haben in unserer Arbeit
gezeigt, dass man die Ausrichtung eines Magneten ändern kann, ohne
einen anderen Magneten zu benutzen. Das fundamental Neue unserer
Arbeit ist, dass wir dazu einen extrem kurzen und extrem starken
Laserpuls benutzen.

Ermöglicht der auch von Ihnen gefundene neue physikalische Effekt
künftig eine weiter gehende Miniaturisierung?

Prof. Nolting: Ja, man könnte Festplatten künftig kleiner bauen,
obwohl ich eher glaube, dass das erhöhte Speichervolumen auf dem
bestehenden Format genutzt werden wird. Versteht man aber unter
Miniaturisierung den Bau kleinerer Motoren oder anderer Maschinen,
dann wird unsere Entdeckung darauf keinen Einfluss haben.

Wann könnte die Noltingsche Datenspeicherung Standard sein?

Prof. Nolting: (lacht) Oh oh, lassen Sie das nicht die vielen
Kollegen hören, die sich in unserer internationalen Forschungsgruppe
diese Entdeckung ebenso an die Fahne heften können wie ich. Da ich
als Grundlagenforscher in einem anwendungsbezogenen Umfeld arbeite,
ist es denkbar, dass es etwa in zehn Jahren Produkte gibt, die
unseren Effekt benutzen. Damit sich eine Idee in Produkten
durchsetzt, müssen viele Faktoren zusammenkommen. Teilbereiche
unserer Entdeckung könnten aber schon in zwei bis drei Jahren zum
Tragen kommen. Bei einer neuen Generation von Festplatten, die
2014/2015 auf den Markt kommen soll, ist vorgesehen, dass ein Laser
die Festplatte lokal erhitzt, weil das die Änderung der
Magnetisierung erleichtert. Ginge man nun einen Schritt weiter,
könnte gleich direkt mittels Laser geschaltet werden.

Wie kann etwas, das selbst keine Richtung aufweist, wie Wärme,
Magneten eine Schaltrichtung vorgeben?

Prof. Nolting: Ich bin sehr dankbar für die Frage, denn die
Antwort ist alles andere als klar. Zunächst mal ist es sehr
überraschend, dass es funktioniert. Wie dies auf mikroskopischer
Ebene abläuft, ist auch noch durchaus umstritten.

Ist das ein universelles Phänomen, dass Energie Wirkung erzielen
kann, obwohl die eigentlich dafür notwendigen Rezeptoren fehlen? Ich
denke da an Mutationen in der belebten Welt oder an die Lichteffekte,
die jemand glaubt zu sehen, der einen Schlag aufs Auge bekommen
hat…

Prof. Nolting: Dies sind in der Tat absolut faszinierende
Phänomene. Sie bilden in einem größeren Rahmen gefasst mein
Arbeitsfeld: Wie verhalten sich Systeme, wenn sie nur noch Nanometer
groß sind? Wie verhalten sich Systeme oder Materialien, wenn man sie
mit extrem kurzen Impulsen anregt? Dann verhalten sie sich nämlich
oft nicht mehr linear, wie man es erwarten würde, sondern
überraschend. So gesehen birgt die Nanowelt noch viel Faszinierendes.

Eine der Grundfragen der Nanoforschung lautet: Wie klein lassen
sich Maschinen bauen?

Prof. Nolting: Die gefürchtete Wissenschaftlerantwort darauf
lautet: Was verstehen Sie denn unter Maschinen? Man hat zwar aus
Molekülen ein Auto gebaut, das nur wenige Nanometer groß ist. Aber
dieses Auto bewegt sich nur, wenn es von außen angestoßen wird. Das
würde ich noch nicht als Maschine verstehen. Aber man kann
mittlerweile Motoren bauen, die nur wenige Mikrometer groß sind –
also kleiner als der Durchmesser eines Haares. Bevor allerdings
Nano-Roboter gebaut werden, die manche Fantasie beflügeln, müssen wir
noch viele Jahre warten. Länger jedenfalls als auf sehr viel
schnellere Laser-Festplatten.

In welchen Kombinationen liegt das größte Potenzial der
Nanotechnologie – Biologie/Informationstechnik?

Prof. Nolting: Nanotechnologie bietet schon heute in sehr vielen
Bereichen neue Möglichkeiten. Am spektakulärsten ist wohl der Bereich
der Medizin. Hier liegt auch das direkteste Versprechen für direkten
Nutzen.

Sind dies die vielbeschworenen Mikro-U-Boote, die auf der Suche
nach Krankheitsherden durch den Körper patrouillieren?

Prof. Nolting: Das bleibt Zukunftsmusik. Woran man aber bereits
arbeitet, sind magnetische Nanoteilchen, die man so verändert, dass
sie sich an einem Tumor anlagern. Dann legt man von außen ein
Wechselmagnetfeld an. Dadurch bewegt sich der Magnet, die entstehende
Wärme zerstört den Tumor lokal. Was ebenfalls entwickelt wird, sind
Nanoteilchen, in denen Medikamente transportiert werden können. So
werden die Wirkstoffe nicht querbeet etwa über die Einnahme von
Tabletten in den Körper gebracht, sondern gezielt an den Ort, an dem
sie wirken sollen. Doch auch außerhalb der Medizin wird
Nanotechnologie schon heute auf vielen Feldern benutzt: Von
schmutzabweisender Beschichtung von Fensterscheiben über neue
Materialien, die sehr viel leichter und dennoch sehr viel fester sind
als Stahl bis hin zu unserer Nanowissenschaft, die möglicherweise die
Festplatten der übernächsten Generation ermöglichen wird.

Wie berechtigt sind Ängste über zerstörerische Schwärme sich
selbst reproduzierender Nano-Maschinen?

Prof. Nolting: Solche Visionen eignen sich gut, um Science Fiction
zu verkaufen. Aber Angst müssen wir davor nicht haben, denn es ist
eben nur Science Fiction. Wir sind weit weit weg von dem Punkt, an
dem so etwas technisch überhaupt möglich wäre. Diskutiert werden
müsste aber, ob eine solche Funktionalität sich selbst
reproduzierender Systeme überhaupt wünschenswert ist. Die entdeckt
sich nicht von alleine – macht aber die Handhabbarkeit von
Nanotechnologie sehr viel komplizierter. Derartige Ängste sind
derzeit nicht berechtigt, zudem kontraproduktiv, weil sie ein völlig
falsches Bild von Nanowissenschaften und Nanotechnologie zeichnen.
Gleichwohl muss man anerkennen, dass manches, was früher Science
Fiction war, heute Alteisen ist. Die heutigen Visionen könnten aber
lediglich in Zeithorizonten verwirklicht werden, die nicht planbar
sind.

Das Interview führte Joachim Zießler

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