Thilo Sarrazin, Erika Steinbach und auch der
US-Pastor Terry Jones, die drei Provokateure dieser Woche,
beanspruchen für sich den Satz „So etwas wird man ja wohl noch sagen
dürfen“, also die Meinungsfreiheit. Doch dahinter steckt sehr
deutlich die Absicht, Grenzen zu verschieben. Bei Sarrazin ist es die
Wiedereinführung des Biologismus in die Debatte („Juden-Gen“), um
nicht zu sagen Rassismus. Bei Steinbach die Kriegsschuldfrage
(Polen). Und Jones will den Zusammenprall der Religionen provozieren.
Das alles hat wenig mit Meinungsfreiheit zu tun. Hier werden zentrale
Errungenschaften unserer gesamten Gesellschaft attackiert. Wenn diese
Grenzen aufweichen, herrschen bald Mord und Totschlag. Das gilt
übrigens auch für die Islamisten, die ihrerseits versuchen, jede
Kritik an ihrer Religion zu unterbinden, indem sie die Kritiker
bedrohen. Angela Merkel ist dem mit der Ehrung für den dänischen
Mohammed-Karikaturisten Westergaard mutig entgegengetreten.
Sarrazin, Steinbach und Jones sind Teil einer konservativen
Gegenbewegung, die sich über die „politische Korrektheit“ als Ganzes
mokiert und so das begriffliche Bollwerk der 68er-Bewegung – in den
USA der Bürgerrechtsbewegung – sturmreif schießen will. Mit einigem
Erfolg. In Deutschland ist es immerhin schon gelungen, das Wort
„multikulturell“ als Schimpfwort zu etablieren, obwohl kulturelle
Vielfalt doch etwas Schönes ist. Die Resonanz, die die Provokateure
finden, ist freilich eine Folge der Tatsache, dass es das linke Lager
übertrieben hat. Man besetzte Begriffe, aber nicht die Herzen.
Migranten statt Ausländer, Flüchtlinge statt Asylanten. Die neuen
Worte stehen für soziale Sensibilität. Aber allzu oft ersetzten nur
Tabus eine echte Auseinandersetzung. Und noch öfter wurden mit den
Begriffen reale Probleme verdrängt. Die Menschen, die damit
tagtäglich zu kämpfen haben, wurden ignoriert. Etwa jene Deutschen,
die in den Problemvierteln der Städte leben. Aktuell, um ein anderes
Tabu-Thema zu nennen, auch jene, die mit der Kriminalität in den
grenznahen Gebieten Ostdeutschlands nicht klarkommen. Deutschland
braucht mehr Politiker vom Schlage des Neuköllner Bürgermeisters
Heinz Buschkowsky, der ungeschminkt über die Probleme redet und
praktische Lösungswege aufzeigt. Der aber trotzdem zu seinen
toleranten, weltoffenen Grundsätzen steht. Beides zusammen geht. Das
Land braucht Politiker, die „mitten im Leben“ stehen, wie einmal
Angela Merkel sagte, die dorthin gehen, „wo es stinkt“, wie Sigmar
Gabriel formulierte. Worauf warten sie alle?
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