Leipzig. Der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim
fordert als Konsequenz des Hamburger Volksentscheid mehr
Möglichkeiten zur direkten Demokratie. „Direkte Demokratie, wie sie
in Hamburg erfolgreich war, ist ein wichtiges Ventil gegen
Politikverdrossenheit. Sie gibt den Menschen das Gefühl, dass eben
nicht über ihre Köpfe hinweg alles entschieden wird, sondern sie
selbst in so wichtigen Fragen wie der Bildungspolitik ein Wörtchen
mitreden können“, sagte von Arnim der „Leipziger Volkszeitung“
(Mittwoch-Ausgabe). Die direkte Bürgerbeteiligung bei wichtigen
politischen Fragen dürfe auch nicht vor politischen Spitzenämtern
halt machen. So sei die Direktwahl der Ministerpräsidenten eine
naheliegende Konsequenz angesichts der bedenklichen Rücktrittswelle
in den Ländern. „Die mitten in der Wahlperiode ausgewechselten
Nachfolger haben keine Wahlen als Spitzenkandidaten gewonnen und
besitzen deshalb keine politische Legitimation. Aus diesem Grund bin
ich für die Direktwahl der Ministerpräsidenten“, so der
Staatsrechtler weiter. Dies wolle nicht nur die große Mehrheit der
Bürger, es sei auch sachlich richtig. „So hätte beispielsweise auch
eine direkt gewählte Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen eine ganz
andere demokratische Legitimation und politische Handlungsfähigkeit,
als sie sie jetzt als Chefin einer Minderheitsregierung besitzt.“ Für
diese Direktwahl sei zwar eine grundlegende Änderung der
Landesverfassung nötig. „Diese kann aber auch über Volksbegehren und
Volksentscheide erreicht werden.“
Von Arnim rechnet allerdings weiterhin mit erheblichen Widerstand
der Parlamentsparteien gegen mehr Bürgerbeteiligung. „Direkte
Demokratie nimmt der politischen Klasse ihre alleinige
Gesetzgebungskompetenz, weil es dann neben dem Parlament noch einen
zweiten (Volks-)Gesetzgeber gibt.“ Es wäre für die Parteien zudem
anstrengender, „weil sie dann den Bürgern das Für und Wider wirklich
erklären und diese überzeugen müssten. Auch die Medien wären ganz
anders gefordert, über die Sache zu berichten, statt Politik immer
weiter zu personalisieren.“ Mehrheitsentscheidungen der Bürger hätten
zudem eine starke Integrationskraft. „Auch Härten würden eher
akzeptiert und geschultert, wenn die Menschen zuvor selbst
entschieden hätten.“
Es sei allerdings ein Irrtum, Meinungsumfragen als Tendenz für
Volksentscheide anzusehen. „Meinungsumfragen sind gerade nicht der
richtige Maßstab. Umfragen sind Augenblicksaufnahmen, die rasch
schwankende Stimmungsbilder wiedergeben. Einem Volksentscheid geht
dagegen ein monatelanger Prozess gründlicher Meinungsbildung voraus,
in dem sich tendenziell Rationalität herausschält.“ Gerade Hamburg
habe gezeigt, dass dabei durchaus immer wieder Überraschungen möglich
sind. „Die Grünen haben in Hamburg sehr stark für mehr Demokratie
geworben und mussten nun die für sie bittere Erfahrung machen, dass
ihr eigenes Projekt der Schulreform vom Bürgerwillen zu Fall gebracht
wurde. Auch beim Atomausstieg ist das Ergebnis eines Volksentscheides
alles andere als sicher. Trotzdem können Volksentscheide ein Weg
sein, um auch heikle Themen verbindlich und befriedend zu
entscheiden.“
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