Aus der Zeit, als in Regensburg der
Immerwährende Reichstag abgehalten wurde, stammt eine bekannte
Redewendung: Etwas auf die lange Bank schieben. Die Überlieferung
sagt, dass Gesandte im Reichssaal während des Entscheidungsprozesses
auf der „Langen Bank“ warten mussten – auf Sitztruhen, in denen sie
ihre Akten verstauen und schließlich auch vergessen konnten. Auf die
lange Bank wird auch die Reform des Pflegesystems geschoben, das seit
geraumer Zeit nicht mehr nur bröckelt, sondern aufgrund
schwerwiegender Defizite inzwischen einer veritablen Generalsanierung
bedarf. Eine solche hatte sich die schwarz-gelbe Bundesregierung im
„Jahr der Pflege 2011“ vorgenommen. Und es scheint, als hätte
Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) auch einige der Akten,
die seit Jahren in den Sitztruhen der langen Bank verstaut sind, nun
hervor geholt. Ob der Tragweite der Herausforderungen sei ihm
verziehen, dass er die daraus geformten Eckpunkte nicht wie geplant
bereits im Sommer präsentiert hat. Nicht aber, dass er dem Kabinett
nun Vorschläge unterbreitet, die über Schönheitskorrekturen kaum
hinausgehen. Zwar verspricht Bahr Verbesserungen für die 1,4
Millionen Demenzkranken, etwa durch alternative Wohnformen und
Betreuungspauschalen, mehr Hilfe für pflegende Angehörige, mehr
Flexibilität bei der Abrechnung von Pflegeleistungen und eine Abkehr
vom Konzept der „Minutenpflege“ – und das, bevor die Erhöhung des
Beitrags zur Pflegeversicherung in Kraft tritt. Doch wie hat sich der
Minister all das vorgestellt? Wie soll die Ausweitung der Leistungen
vor der Beitragserhöhung finanziert werden, wenn heute schon ein
Riesenloch in der Pflegekasse klafft? Wann will Bahr den Begriff von
Pflegebedürftigkeit neu definieren und somit die Basis für die
Leistungen für Demente legen? Wie lange sollen Pflegebedürftige,
Angehörige, Träger von Pflegeheimen, ambulante Dienste und
Beschäftigte der Branche denn noch darauf warten, dass die seit
Jahren bekannten Probleme endlich gelöst werden? Eine Reform mit
Konzept sieht anders aus. Natürlich kann der
Bundesgesundheitsminister nichts an der demografischen Entwicklung
ändern und an der Tatsache, dass es immer mehr Menschen gibt, die auf
Leistungen aus der Pflegeversicherung angewiesen sind. Allerdings
gäbe es eine Möglichkeit, die Beitragsbasis und somit die zur
Verfügung stehenden finanziellen Mittel zu vermehren. Und das nicht,
in dem man – wie von Bahr beabsichtigt – früher oder später die
private Vorsorge für den Pflegefall zur Pflicht macht, sondern durch
eine solidarische Bürgerversicherung, in die jeder einzahlt – egal,
ob Beamter, Selbstständiger oder Besserverdienender. Dann würden
diejenigen, die keine Alternative zum Pflegeheim haben, in Zukunft
vielleicht nicht mehr vor einem Kostenberg stehen, den die
Pflegekasse kaum abdecken kann. Zudem würde „das Konzept der
Minutenpflege“ verschwinden – das niemals erklärtes Konzept war,
sondern aus dem Mangel an Geld, Zeit und Personal entstand. Sollte
sich Bahr doch zu einer umfassenden Pflegereform durchringen, die
auch den Fachkräftemangel und die nachhaltige sowie solidarische
Sicherung der Finanzen beinhaltet, muss er nur einen genauen Blick
auf die von Pflegegipfeln und vom Pflegebeirat der Vorgängerregierung
erarbeiteten Unterlagen werfen, die seit Jahren in den Sitztruhen
liegen und damit beginnen, sie umzusetzen. Eine weitere Vertagung des
Problems und Symbolpolitik, die den Betroffenen Abhilfe vorgaukelt,
ist der Größe der Herausforderung nicht angemessen.
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