Es ist gerade mal ein Jahr her, da machte sich
der grüne Tiger zum Sprung auf. Die Bündnis-Grünen fühlten sich schon
als neue Volkspartei. Umfragewerte nahe 30 Prozent machten damals
sogar Hoffnungen auf einen grünen Kanzler oder eine Kanzlerin. Renate
Künast wollte Berlin aufmischen. Alles schien möglich. Doch aus dem
Tiger ist längst wieder ein Kätzchen geworden, das nur hin und wieder
die Krallen ausfährt. Der Höhenflug der Öko-Partei wurde jäh
abgebremst. Ihr weht mittlerweile eine steife Brise ins Gesicht,
nicht nur auf dem Parteitag an der Kieler Förde. Die Grünen sind
unsanft in der harten politischen Realität gelandet, obwohl sie in
Baden-Württemberg den ersten Ministerpräsidenten stellen, obwohl sie
in alle Landesparlamente eingezogen sind. Die Welt hat sich weiter
gedreht. Eine CDU-Kanzlerin dirigiert den Atom-Ausstieg. Und
obendrein versuchen kecke Internet-Piraten, den längst auch
bürgerlich etablierten Grünen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Auf
dem Kieler Parteitag haben die Grünen drei Tage lang eine Art
Neustart versucht. Und der neue Kurs lautet: konsequent Öko und
konsequent Links. Zurück in die Zukunft. Die Kieler Forderungen nach
einem höheren Spitzensteuersatz, nach einer Vermögensabgabe für
Reiche, nach höherer Öko- und Erbschaftssteuer, nach der Einführung
der Gewerbesteuer für Selbstständige, Freiberufler oder Landwirte
könnten ebenso gut von Oskar Lafontaine aufgeschrieben worden sein.
Die Grünen wollen den Weg eines Umverteilungs-Sozialismus einschlagen
und die Wirtschaft gleichzeitig auf einen harten Öko-Kurs zwingen.
Das ist gewagt, denn viele Anhänger und Wähler der Grünen sind
inzwischen gut situiert, kommen aus wohlhabenderen Stadtvierteln. Mir
diesem Programm haben sich die Parteilinken um Jürgen Trittin, dem
starken Mann in der Partei, und Claudia Roth gegen die einstigen
Realos, wie etwa Cem Özdemir oder Renate Künast durchgesetzt. Der
frühere Über-Grüne Joschka Fischer wird sich mit Grausen abwenden.
Die Partei, sollte sie 2013 im Bund zum Regieren gebraucht werden,
steht für eine linkes Öko-Gesellschaftsmodell. Dass dies noch
nirgendwo auf der Welt umgesetzt wurde, ficht sie nicht weiter an. An
mangelndem Sendungsbewusstsein hat es Trittin und Co. noch nie
gemangelt. Dabei haben die Bündnis-Grünen in den vergangenen Jahren,
das muss man ehrlicherweise konstatieren, programmatisch und
gesellschaftlich viel Neues angestoßen. Sie waren und sind die Partei
des Atomausstiegs und der ökologischen Erneuerung. Nur sind sie jetzt
dabei, die Schraube zu überdrehen. Die Proteste gegen
Castor-Transporte sind immer noch eine Art grüner Jungbrunnen. Auch
wenn die Parteitagesregie den Kieler Kongress genau in die heiße
Protestphase legte. Doch statt im Wendland zu protestieren, saßen
viele lieber in der Parteitagshalle. Da wird man zumindest nicht
nass. Freilich ist der Sieg der Linken in der Partei eine vage
Angelegenheit. Der andere Flügel kann jederzeit zurückschlagen. Im
Land Berlin sind die Fronten offen und brutal zutage getreten. Der
Erfolg verband, der Misserfolg ließ alte Gräben neu aufbrechen. Und
was künftige Koalitionen anbelangt, gilt eher das Motto: Im Haus des
Henkers spricht man nicht über den Strick. Klar bleibt Rot-Grün die
Lieblingskonstellation. Über Schwarz-Grün hatte man in Kiel den
Mantel des Schweigens gedeckt. Mit dem, was beschlossen wurde, wurde
ein Bündnis von Union und Grünen ohnehin ins Reich der Illusionen
verbannt.
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