Mittelbayerische Zeitung: Person mit Gewissen

Von Christian Kucznierz

Es sind nur zwei Buchstaben vor dem Namen. Sie bedeuten eigentlich
nicht viel und gleichzeitig eine Menge. Wer an der Universität den
Grad eines Doktors erwirbt, bekommt damit die Bestätigung, dass er
zum selbstständigen wissenschaftlichen Arbeiten befähigt ist. Für
viele Menschen ist dies eine persönliche Auszeichnung für eine
langjährige, intensive und sehr aufwendige Forschungs- und
Schreibarbeit. Für andere ist sie eine Trittstufe auf der
Karriereleiter, für andere reiner Schmuck. Für manche aber ist sie
Voraussetzung für ihren Beruf. Das gilt für Annette Schavan nicht.
Eine Bundesministerin für Bildung und Forschung muss per se keine
Forscherin sein, schon gar keine promovierte. Aber es wird ihr
helfen, wenn sie von der Materie eine fundierte Kenntnis hat. Wenn
sie aber wie Schavan den Grad eines Doktors von einer Hochschule
verliehen bekommen hat, sich dann aber herausstellt, dass sie diesen
Titel zu unrecht führt, dann gilt der Kehrsatz der Behauptung oben,
und der lautet: Wer promoviert und des Betrugs überführt wurde, kann
keine Bildungsministerin sein. Weil sie sich unglaubwürdig gemacht
hat. Im Kabinett Merkel ist Schavan dabei nicht die erste, die über
eine Plagiatsaffäre stolpert. Bereits 2011 trat der damalige
CSU-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg zurück, nachdem
er überführt wurde, weite Teile seiner Arbeit abgeschrieben zu haben
– ohne, dass er dies kenntlich gemacht hatte. So hätten es die
akademischen Standards verlangt. Bei Guttenberg lag die Sache aber
anders als bei Schavan. Wie viele andere stolperte er nicht über die
Affäre, sondern über das, was er darüber sagte oder nicht sagte.
Hätte der fesche Freiherr von vornherein reinen Tisch gemacht, als
die Vorwürfe gegen ihn erhoben worden wären, wer weiß? Seine
Popularität war groß genug, um ihm sein Amt zu retten. Das belegten
nicht zuletzt die teils heftigen Reaktionen auf die Berichte und
Kommentare zu seinem Rücktritt, die auch hier in der Redaktion
eingingen. Bei Schavan ist hingegen die Schlacht verloren. Die
Noch-Ministerin hat angekündigt, die Entscheidung der Universität
gerichtlich anzufechten. Das ist ihr gutes Recht. Sie macht die Dinge
aber nicht besser dadurch. Sie rettet wohl auch nicht ihren Titel;
die Erfahrung lehrt, dass die Gerichte meist den Hochschulen Recht
geben. Schavan macht sich damit eigentlich nur angreifbarer. Zumal es
nicht irgendein Gremium war, dass die Entscheidung fällte. Es war ein
wissenschaftliches, das über die Einhaltung oder eben
Nicht-Einhaltung der wissenschaftlichen Standards entschied. Dass es
dabei eine Arbeit unter die Lupe nahm, die über 30 Jahre lang
unangezweifelt geblieben war, ist allerdings kurios, weil sich die
Frage stellt, wer da ins Visier genommen werden soll: der akademische
Betrieb generell oder einzelne Personen mit dem Ziel, sie zu
diskreditieren. Letzteres ist gelungen, und es dürfte im Fall Schavan
deswegen besonders schwer wiegen, weil sie Vertraute der Kanzlerin
ist. Merkel kann Schavan nicht einfach fallen lassen; aber sie wird
es versuchen müssen. Im Wahljahr setzt die Union auf eine Karte:
Angela Merkel. Sie steht für Verlässlichkeit, Vertrauen und
Glaubwürdigkeit. Wie glaubwürdig aber ist eine Parteichefin, die
einer Bildungsministerin vertraut, deren wissenschaftliche Integrität
zerstört ist? Schavan kann sich selbst nicht mehr retten. Aber sie
kann ihrer Partei und deren Vorsitzenden einen letzten Gefallen
erweisen und das Feld räumen. Sie wäre ansonsten die Zielscheibe, auf
welche die Opposition schießt, um die Kanzlerin zu treffen. „Person
und Gewissen“ lautet der Titel der Dissertation der Ministerin.
Schavan sollte zeigen, dass sie ein Gewissen hat. Ihre persönliche
Integrität kann sie am besten dadurch zurückerobern, dass sie den
sauberen Schnitt wagt. Alles andere wäre auch ihrer Lebensleistung
als Politikerin unwürdig.

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