Von Reinhard Zweigler
Das, was Angela Merkel und Annette Schavan getan haben, verdient
höchsten Respekt. Und dies in mehrfacher Hinsicht. Aus Respekt vor
dem Amt ist Bundesforschungsministerin Annette Schavan
zurückgetreten. Sie klebte nicht an ihrem Stuhl, wie man das von
manch anderem Politikern kennt, sondern bekannte sich zu ihrer
herausgehobenen Verantwortung als Ministerin. Sie hat eingesehen,
dass eine Wissenschaftsministerin, der der Doktor-Titel entzogen
wurde, nicht mehr glaubhaft Hochschulpolitik betreiben kann. Annette
Schavan ist eine Politikerin, die ihre Verantwortung nicht nur
wortreich beschreibt, sondern auch wirklich übernimmt. Sie ist eine
Person mit Gewissen und Rückgrat. Ihr Abschied vom Amt löste auch bei
der politischen Konkurrenz keine Häme, sondern Anerkennung aus. So
etwas ist selten in der Politik. Respekt gebührt ebenso
Bundeskanzlerin Angela Merkel, die den Rückritt der engen Freundin
annehmen musste. Das ist Merkel erkennbar schwergefallen. Wirkliche
Freundschaften sind im harten Politikbetrieb sehr selten. Und selten
hat die Kanzlerin so in ihr Inneres, in ihre Gedanken und Gefühle
blicken lassen wie jetzt. Sie hat an ihrer Entscheidung gegen die
angegriffene Ministerin teilhaben lassen. Und sie hat Annette Schavan
eine würdevollen, einen angemessenen Abschied aus dem Kabinett
beschert. Bei „Amtsflüchtlingen“, wie Michael Glos, Karl-Theodor zu
Guttenberg oder bei dem entlassenen Norbert Röttgen sah das ganz
anders aus. In der Politik sind bisweilen blitzschnell Entscheidungen
zu treffen, die persönlich schmerzen, aber gleichwohl notwendig sind.
Des „großen Ganzen“ wegen, um das Amt vor Schaden zu bewahren, wie es
so schön heißt. Merkel hat allerdings auch deshalb so rasch
gehandelt, um keinen weiteren Ballast für die Union mit in den
anstehenden Bundestagswahlkampf zu schleppen. Die knappe Niederlage
für Schwarz-Gelb bei der Landtagswahl in Niedersachsen hat der
Kanzlerin und der Union insgesamt schon ordentlich zugesetzt. Nun
aber hat Merkel Führungsstärke demonstriert. Mit Johanna Wanka holt
sie zudem eine profilierte Wissenschaftsexpertin ins Berliner
Kabinett. Auch damit könnte der politische Flurschaden im Zuge des
Falles Schavan begrenzt werden. Die neue Ministerin hat allerdings
nun gerade mal sieben Monate Zeit, um sich im Amt zu bewähren. Dass
Johanna Wanka keinerlei Einarbeitungszeit benötigt, spricht für die
neue Ministerin. An ihrer Doktorarbeit zu einem
ingenieur-mathematischen Thema dürften sich obendrein Plagiats-Jäger
die Zähne ausbeißen. Dass die Ex-Ministerin Schavan nun freilich
weiter um ihren Doktor-Titel kämpft, steht auf einem anderen Blatt.
Das ist ihr gutes Recht. Es geht um ihre Reputation als
Wissenschaftlerin und um ihre Ehre als Politikerin, als Mensch. Und
auch die Universität Düsseldorf muss sich Fragen gefallen lassen.
Etwa, warum an Schavans Arbeit fast 33 Jahre lang weder Fehl noch
Tadel entdeckt wurden. Sie galt als wichtige Arbeit auf dem Gebiet
der Erziehungswissenschaften. Oder warum partout kein weiteres
wissenschaftliches Gutachten zur Klärung der Plagiats-Vorwürfe
herangezogen wurde, hat der große Fakultätsrat nicht erklärt. Das
Verwaltungsgericht Düsseldorf, das nun lediglich den Prozess der
Aberkennung des Titels prüfen wird, kann solche Fragen nur schwerlich
klären. Der Fall Schavan sollte auch in der Wissenschaft eine Debatte
darüber anregen, wie ernsthaft mit den wissenschaftlichen Arbeiten
junger Studenten umgegangen wird.
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