Mitteldeutsche Zeitung: Misstrauensvotum gegen Willy Brandt 1972 Vorsitzender des Beirats der Stasi-Unterlagenbehörde, Richard Schröder, nimmt Egon Bahr in Schutz

Der Vorsitzende des Beirates der
Stasi-Unterlagenbehörde, Richard Schröder, hat den Vertrauten des
damaligen Kanzlers Willy Brandt, Egon Bahr, gegen Vorwürfe in Schutz
genommen, 1972 mit dem DDR-Funktionär Hermann von Berg über die
Bestechung von Bundestagsabgeordneten der Opposition gesprochen zu
haben, um das konstruktive Misstrauensvotum seines Herausforderers
Rainer Barzel (CDU) zum Scheitern zu bringen. „Egon Bahr moralisch
etwas vorzuwerfen, ist nicht richtig“, sagte Schröder der in Halle
erscheinenden „Mitteldeutschen Zeitung“ (Dienstag-Ausgabe). Denn von
Berg habe ja seinerzeit die Initiative ergriffen. „Bahr war der Bote.
Er konnte ja nicht die Zensurbehörde für Willy Brandt spielen.“ Der
Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität
Berlin, Klaus Schroeder, kritisierte Bahrs Verhalten hingegen. „Ich
finde das unmöglich“, erklärte er dem Blatt. „Das ist Realpolitik um
fast jeden Preis.“ Aus Stasiakten, über die der „Spiegel“ berichtet
hatte und die sich wiederum auf Vermerke von Bergs beziehen, ergeben
sich Hinweise darauf, dass solche Gespräche stattgefunden haben. Bahr
soll darüber seinerseits mit Brandt und Kanzleramtschef Horst Ehmke
(SPD) geredet haben, um danach zu erklären: „Das sage ich nur unter
uns Pastorentöchtern, das muss absolut verschwiegen bleiben. Wir sind
mehreren Spuren nachgegangen, um zu prüfen, ob sich solche
Möglichkeiten ergeben. Wir hatten das ernsthaft vor, aber wir sind
gerade noch rechtzeitig zurückgezuckt, es waren nur gestellte
Fallen.“ Tatsächlich kassierte der CDU-Parlamentarier Julius Steiner
exakt 50 000 D-Mark von der Stasi, damit er sich der Stimme enthielt.
Das Misstrauensvotum scheiterte.

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