Die Angst als Kunst
Trash-Kino zum Mauerfall, Parteigründung, ironischer Mordaufruf
gegen Kohl. Schlingensief lieferte Schlagzeilen. Im Kulturbetrieb
führte das zur doppelten Wahrnehmung: Die einen sahen ihn als
geniales Enfant terrible. Die Gegenseite witterte einen
narzisstischen Selbstvermarkter – obwohl sein Anliegen stets das Wohl
der anderen war, das der Arbeitslosen, der Behinderten, zuletzt der
Afrikaner.
Das Paradoxe: Der Vorwurf der Selbstdarstellung verstummte genau
in dem Moment, als Schlingensief sich tatsächlich selbst zum Thema
wurde, auf die grausamste Weise. Sein letzter Stoff, das Sterben, war
so unbestreitbar echt, so relevant und so berührend, dass alle Kritik
sich erledigt hatte. Die Schutzlosigkeit, in der er nun auch seine
Angst zu Kunst machte, wirkte auf das ganze Werk zurück:
Schlingensief war, jetzt sah es jeder, gerade nicht zynisch. Bis
zuletzt hat er darauf bestanden, in absichtsvoller Naivität das
Ungerechte schlimm zu finden. Und ungerecht und schlimm ist auch sein
Tod.
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