Die Politiker machen einen hilflosen Eindruck
und viele Bürger fürchten um ihre Privatsphäre. Mit seinem
Straßenbilderdienst Street View sorgt der Internetgigant Google für
eine Erregung, die fast schon hysterische Züge annimmt. Die Abbildung
von Fassaden im Internet erscheint so als der Supergau in der
digitalisierten Welt. Befürchtet wird das Schlimmste: zum Beispiel
eine Zunahme von Einbrüchen oder terroristischen Anschlägen. Das
wirkt maßlos übertrieben. Denn es ist in der Tat nicht mehr zu sehen,
als was jeder Mensch tagtäglich mit eigenen Augen erblicken kann:
Straßenzüge, Häuserfassaden. Wer es nicht glaubt, kann sich im
Internet ein Bild machen. Es sind bereits 23 Länder fotografiert und
im weltweiten Netz abgelegt. Es handelt sich auch nicht um
brandaktuelle Echtzeit-Aufnahmen, die Bilder sind älteren Datums. In
Deutschland war Google mit seinen Kameras zum Beispiel ab 2008
unterwegs. Hierzulande nutzen allein zehn Millionen Menschen den
Datendienst facebook. Dort oder in studiVZ geben die Nutzer intimste
Details preis und verstopfen das Internet mit einer Flut von privaten
Fotoalben, die wahrlich nicht an Häuserfassaden halt machen. Darüber
regt sich zurecht kaum jemand auf, weil dieser Datenexhibitionismus
freiwillig ist. Dass jedoch in dieser Selbstentblößung eventuell
größere Gefahren liegen als in Street View machte Google-Chef Eric
Schmidt kürzlich selber deutlich. In Zukunft, sagte er, solle jeder
Jugendliche bei Erreichen der Volljährigkeit seinen Namen ändern
können. Das Problem mit den im Internet ewig festgehaltenen
Jugendsünden wäre damit gelöst. Die freiwillige Bekenntniswut kennt
trotzdem keine Grenzen. Und mögen auch Netzmuffel Dienste wie Google
Street View für überflüssig halten, sie werden millionenfach genutzt.
So ein virtueller Spaziergang durch New York hat seinen eigenen Reiz.
Das Internet ist janusköpfig. Es macht Spaß und führt Menschen
zusammen, aber es überwältigt und überfordert auch. Deshalb brauchen
wir einen Notausgang. Dass Google viel zu lange brauchte, um
Einspruchsmöglichkeiten offenzulegen und diese Fristen zu verlängern,
ist ein Unding. Wer sein Haus nicht abgebildet haben will, müsste
ganz einfach Nein sagen können. Hier ist die Politik gefordert. Es
sollte einen Rechtsanspruch auf Widerspruch geben, der unabhängig von
Googles Belieben existiert. Und es wäre einem wohler zumute, wenn die
Internetgiganten deutlicher machten, was sie eigentlich noch
bezwecken. Schließlich geht es nicht um Volksbeglückung, sondern um
Geschäftemacherei. Sollen die Straßenzüge künftig als lokale
Werbeflächen im Netz dienen und was hat es mit den
Gesichtserkennungsdiensten auf sich, die eventuell demnächst auf uns
zukommen? Der Umgang des Einzelnen mit der digitalen Welt wäre
entspannter, wenn mehr Transparenz existierte. Es ist schon verrückt:
Im Informationszeitalter können wir fast alles erfahren – bis auf die
langfristigen Absichten und Geschäftsmodelle eines Internetgiganten
wie Google.
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