Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR 64. Internationale Buchmesse in Frankfurt Am Wendepunkt STEFAN BRAMS

Als der Berliner Verbrecher-Verlag die
Herausgabe von Erich Mühsams Tagebüchern als Gesamtwerk ankündigte,
galt das als tollkühn. Als er dann noch ankündigte, alles auch frei
ins Internet zu stellen, galt das gar als verrückt. Doch das Modell
hat funktioniert – das Buch verkauft sich gut, und im Internet gibt“s
nicht nur die handschriftliche Fassung obendrein, sondern man kann
sogar an den Erläuterungen zum Werk mitschreiben. Ein Beispiel von
vielen, das zeigt: Die digitale Herausforderung ist für die
Buchverlage zu bewältigen, wenn sie kreativ sind und die digitale
Welt nicht als Gegensatz zum gedruckten Buch, sondern als Chance
begreifen. Denn aufzuhalten ist die digitale Revolution ohnehin
nicht. Beispiel E-Book: Die elektronischen Bücher sind auf der
Buchmesse schon seit einigen Jahren ein Thema, aber in diesem Jahr
sind sie hierzulande richtig angekommen. Einzelne Verlage machen
bereits bis zu acht Prozent ihres Umsatzes mit den elektronischen
Büchern und sprechen von rasanten Zuwächsen. Bis 2016 soll der Anteil
der E-Books am Gesamtumsatz des Buchhandels gar auf rund 15 Prozent
ansteigen – bisher sind es etwa 2 Prozent. Eine Bedrohung muss das
für die Verlage nicht sein, denn hier tut sich schlichtweg ein neuer
Vertriebsweg für das alte Gut Buch auf. Und auch sonst bietet das
Internet Verlagen viele Möglichkeiten, Bücher ganz neu zu
inszenieren. Ungemach droht den Verlagen da eher durch das neue große
Thema Selbstverleger. Das Netz macht es möglich, dass jeder ohne
Verlag sein Buch herausbringen kann. Der Onlinehändler Amazon ist
auch hier ganz vorn mit dabei, wird zum Buchhändler und Verleger in
einem. Eine Entwicklung, die die Verlage in ihrem Kern trifft und
deutlich bedrohlicher ist als das Thema E-Books. Auch für den
stationären Buchhandel bleibt der Onlinebuchhandel die größte
Herausforderung. Während Letzterer wächst und wächst, meldet Ersterer
gerade einen Umsatzrückgang von 4,7 Prozent für die ersten neun
Monate des Jahres. Eine bedrohliche Entwicklung, an der vor allem die
großen Buchhandelsketten nicht ganz unschuldig sind. Die haben sich
vielfach zu öden Bestseller-Abverkaufsstellen samt Nippesangebot
herunterentwickelt und ihr Beratungsangebot gleich mit ausgedünnt. So
haben sie sich über die Jahre selbst immer verzichtbarer und zum
besten Argument für den schnellen Einkauf im Internet gemacht. Dass
sie jetzt ihre Flächen um bis zu 50 Prozent reduzieren, Filialen ganz
schließen, wundert nicht. Für viele Städte, in denen sie mit ihrem
Expansionskurs alteingesessene Buchhandlungen plattgemacht haben,
keine gute Nachricht – selbst wenn hier und dort kleine
Buchhandlungen die Gunst der Stunde wieder nutzen. Sie werden es
schwerhaben, denn der Börsenverein des Deutschen Buchhandels spricht
davon, dass bis 2013 jede fünfte Buchhandlung schließen wird. Der
Buchmarkt steht an einem Wendepunkt. Das Buch indes wird überleben –
gedruckt und digital. Das zeigte die 64. Buchmesse auch.

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