Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR: Aufbruch in die „Post-PC-Ära“

Nullsätze sind Nachrichten

Es ist eine hochinteressante Welt entstanden. Während sich die
Menschen relativ langsam entwickeln, ändert sich die Technik um sie
herum immer rasanter. Innovationen reihen sich aneinander, und
niemand außer der Laborarbeitern von Apple, IBM oder HP weiß, welche
Umbrüche als nächstes anstehen. Dazu passen die Worte von
Telekom-Chef René Obermann in dieser Woche, wonach die PC-Architektur
überholt und die nächste Epoche, die „Post-PC-Ära“, im Aufbruch sei.
Wer Bedenken anmeldet an dieser These, findet sich unversehens in der
Ecke der Technikfeinde wieder. Dabei wird es nun ernst im Internet,
und gläserne Anwender sollten in Zeiten, da die Cloud, die
Datenwolke, die Grenzen zwischen Online und Offline verwischt,
vielmehr ein Umdenken diskutieren. Transparenz durchzieht die
Gesellschaften der Industriestaaten nicht erst, seitdem Facebook
weltweit fast eine Milliarde Nutzer zählt. Während ein Unternehmer
früher in einer Stadt verbrannte Erde hinterlassen und an einem
anderen Ort wieder durchstarten konnte, hat er inzwischen ein
Problem. Wer es mit einem neuen Partner oder Mitarbeiter zu tun
bekommt, sieht zunächst unter Googles bunten Buchstaben nach und
durchforscht soziale Netzwerke. Es muss nicht alles stimmen, was da
im Internet steht, dennoch verschaffen die Informationen einen
validen ersten Eindruck. Wie der Dorfbewohner einst auf seinen Ruf
achten musste, um seine sozialen Unterstützer zu behalten, zwingt der
virtuelle Marktplatz nun aus ökonomischen Gründen zu ehrlichen
Verhaltensweisen. So hat das Netz zu Guttenberg entlarvt, und so
lässt sich leicht behaupten, dass die Welt dank des Internets eine
bessere ist. Heute, da zwei Milliarden Menschen im Netz einkaufen,
ihre Startups übers Internet führen oder einander in sozialen
Netzwerken schreiben, übt das Tempo der technischen Innovationen
jedoch auch enormen Druck aus. Es ist illusorisch zu denken, dass
sich Facebook bald überholt hat. Mehr als zwanzig Jahre nach
Entstehen nimmt das Internet vielmehr an Fahrt auf: Tabletcomputer
wie das neue iPad von Apple boomen, fast jeder dritte Deutsche trägt
zudem ein multimediafähiges Mobiltelefon mit sich herum, um seine
Zeit überall nutzen zu können. Höher, schneller, weiter – dabei sein,
mitquatschen, ist alles. Galt die Familie seit jeher als eine Welt
ohne technizistischen Takt und mit rein emotionalen Banden, haben die
Phänomene der Informationstechnik nun auch der klassische
Zufluchtsort der Ruhe erreicht. Medienkonsum und Mediennutzen sind
hochritualisiert, Trivialitäten sind Themen, Nullsätze sind
Nachrichten. Es entsteht Stress, Kommunikationsstress. Wenn darüber
hinaus algorithmische Empfehlungssysteme wie Amazon oder Facebook
vorschlagen, was wir anschauen oder lesen oder mit wem wir uns
anfreunden sollen, kehrt sich die positive Transparenz in ein Risiko
um: Alles baut sich auf vergangenem Verhalten auf. Dessen sollte sich
jeder Homo Digitalis bewusst sein.

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