Kaum scheinen die akuten Folgen der Ölpest im
Golf von Mexiko halbwegs unter Kontrolle, da überschlagen sich die
Verantwortlichen des Energiekonzerns BP und der US-Regierung mit
Erfolgsmeldungen. Zwar seien seit dem 22. April rund 660.000 Tonnen
Rohöl aus dem Leck der havarierten Ölplattform „Deepwater Horizon“
ins Meer gesprudelt. Laut einer Studie sollen aber bereits drei
Viertel davon verschwunden sein. Das Öl sei an Stränden aufgesammelt
worden, verdunstet, aufgelöst oder zerfallen, heißt es. Ernst zu
nehmende Wissenschaftler kritisieren diesen Bericht scharf; er beruhe
zu großen Teilen auf Modellen, Hochrechnungen und Annahmen.
Tatsächlich wird man den Eindruck nicht los, als wollten die Behörden
der Öffentlichkeit mit den Positiv-Schlagzeilen sagen: „Alles halb so
wild, wir haben die Lage unter Kontrolle“. Zu groß ist der Druck, in
der Energiegewinnung wieder zur Tagesordnung übergehen zu müssen.
Denn die Politik in den USA wie in aller Welt weiß: Ohne die
Ausbeutung der fossilen Brennstoffe wie Öl und Kohle sind die
Industriestaaten aufgeschmissen. Allein 85 Prozent des weltweiten
Energiebedarfs werden derzeit durch fossile Energieträger gedeckt.
Und der Bedarf wächst kräftig. Schätzungen zufolge wird sich der
Weltenergiebedarf bis zum Jahr 2050 zumindest verdoppeln. Boomende
Volkswirtschaften wie China und Indien gleichen ihren Lebensstandard
mit Riesenschritten dem westlicher Länder an. Da passen
Kollateralschäden wie die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko nicht ins
Bild. Denn sie stellen die Nutzung der fossilen Energieträger
grundsätzlich infrage. Das war schon 1989 so, als vor der Küste
Alaskas der Öltanker „Exxon Valdez“ sank. 37.000 Tonnen Rohöl liefen
seinerzeit ins Meer. Fünfmal so hoch sind die Folgen der jüngsten
Katastrophe, selbst wenn die positiven Rechnungen stimmen sollten.
Statt einer Energiewende hin zu Sonne, Wind und anderen regenerativen
Quellen setzen die expandierenden Volkswirtschaften nach wie vor auf
Öl, Gas, Kohle – und Atomkraft. Auch verschließt man seit jeher die
Augen vor den Risiken der Kernenergie. Die Entsorgungsfrage der
Brennstäbe bleibt weiterhin ungeklärt. Unter dem GAU des explodierten
Kernkraftwerks von Tschernobyl am 26. April 1986 leiden bis heute
tausende Menschen, vor allem Kinder, die jedes Jahr auch nach
Deutschland kommen, um hier klare Luft atmen zu können. Ein
Atomkraftwerk im schwedischen Forsmark war am 25. Juli 2006 nach
einem Störfall ganze 20 Minuten lang außer Kontrolle. Die Welt stand
kurz vor einem zweiten GAU. Die Leere aus der Ölkatastrophe im Golf
von Mexiko kann nur lauten: Die Energiewende muss kommen, und zwar
konsequent und ohne Kompromisse. Bis dahin sollten Politiker um ihrer
Glaubwürdigkeit willen bekennen: Die traditionellen Energieformen
sind mit extremen Risiken behaftet. Eine kurzfristige Alternative zu
ihnen kennt die Industriegesellschaft jedoch nicht.
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