Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Bundesparteitag der FDP Fenster auf ALEXANDRA JACOBSON, BERLIN

Wie stark die Angst um die eigene Existenz in
der FDP grassiert hat, verdeutlicht der 64. Bundesparteitag in
Berlin. Vermutlich muss man erst ganz am Boden liegen, bevor die
Einsicht wächst, dass ein schlichtes „Weiter so“ der sichere Weg ins
parteipolitische Aus bedeutet. Nein, die FDP ist nicht tot. Sie will
sich sogar ändern. Der Vorsitzende Philipp Rösler hat mit seiner Rede
ein Fenster zum wirklichen Leben geöffnet. Nicht mehr staubtrockene
Phrasen aus dem Volkswirtschaftsseminar oder kalter
Marktradikalismus: Dass sich ein FDP-Chef über die unzureichenden
Kita-Öffnungszeiten Gedanken macht, ist ein Fortschritt. Auch, dass
sich der Vorsitzende für Lohnuntergrenzen einsetzt. Das ruft
innerhalb der Partei die Traditionstruppen auf den Plan, die nun
befürchten, dass hier liberales Tafelsilber verscherbelt wird. Diese
programmatische Auseinandersetzung bleibt der FDP nicht erspart. Gut,
wenn die Spitze mit klarer Haltung in die Schlacht zieht. Rösler weiß
auch, dass die Union derzeit weite Räume für die Liberalen aufmacht.
Vorurteilsbeladen oder tolerant heißt die Alternative. Ob
Gleichstellung der Homo-Ehe oder doppelte Staatsbürgerschaft: Die FDP
hat Felder definiert, wo sie CDU und CSU treiben und ganz schön
verstaubt aussehen lassen kann. Rainer Brüderle wird sich weiter als
„Mister Mittelstand“ um die wirtschaftspolitischen Grundüberzeugungen
der Partei kümmern. Vor allem aber bekennt er sich zum Tandem mit
Rösler und zur Geschlossenheit. Dabei war es Brüderle, der Leuten wie
Rösler („Säuselliberalismus“) oft genug Knüppel zwischen die Beine
geworfen hat. Wenn die führenden Liberalen nun tatsächlich
miteinander statt gegeneinander arbeiten, wäre die FDP kaum
wiederzuerkennen. Zweifel dürfen aber erlaubt sein, ob der
Individualistenklub FDP das Mannschaftsspiel überhaupt noch
beherrscht.

Pressekontakt:
Neue Westfälische
News Desk
Telefon: 0521 555 271
nachrichten@neue-westfaelische.de