In unserer schnelllebigen Zeit gibt es die
Unsitte, ganz schnell den Stab über Menschen zu brechen. Der neue
Bundespräsident Christian Wulff mag in seinen ersten hundert Tagen
nicht alles richtig gemacht haben. Wie könnte es auch anders sein.
Aber sein Auftritt in Ankara zeigt eindrucksvoll, dass er es durchaus
versteht, das Amt überparteilich und würdevoll auszufüllen. Dass
Wulff im Parlament in Ankara von den Türken allgemein
Religionsfreiheit und konkret mehr Toleranz gegenüber dem Christentum
einforderte, mag für die Gastgeber ein schwer zu schluckende Kröte
gewesen sein. Davon zeugten schon die vielen leeren Plätze im
Parlament. Aber die Worte waren absolut richtig. Dass das Christentum
zur Türkei gehört, ergänzt inhaltlich geradezu perfekt die Rede, die
Christian Wulff in Bremen zum Tag der Deutschen Einheit gehalten
hatte. Dort hatte er den Islam als ein Teil Deutschlands bezeichnet
und war damit auf herbe Kritik gestoßen. Wulff hat in der Türkei
bewiesen, dass er politisch heikle Dinge offen anspricht. Und er
versteht es, Defizite sachlich zu benennen – ganz ohne Schaum vor dem
Mund. Wulff nimmt seine Rolle als Staatsoberhaupt mit Trennschärfe,
Distanz und Überblick wahr. Er lässt sich nicht zur dumpfen
Ausländerschelte verleiten, aber er schwelgt auch nicht platt in
Multi-Kulti-Seligkeit. Für die Türkei stellt die Forderung nach einer
gleichwertigen Behandlung von anderen, nicht-islamischen
Religionsgemeinschaften offensichtlich noch ein gewisses Problem dar.
Doch die Menschenrechte sind universell und sollten in allen Ländern
Gültigkeit besitzen. Ganz besonders aber in einem Land, das der EU
beitreten möchte. Aber die Türkei hat in den vergangenen Jahren schon
manches Hindernis beiseitegeräumt. Deshalb wäre es falsch, die Tür
einfach zuzuziehen.
Pressekontakt:
Neue Westfälische
News Desk
Telefon: 0521 555 271
nachrichten@neue-westfaelische.de