Mit dem „Timeline“-Diktat bringt Facebook das in
Form, was viele der Nutzer bereits praktizieren: sozialen
Exhibtionismus. Wer die Gefahren nicht erkennen will, dürfte bald
überrascht sein. Nie zuvor war der Versuch ambitionierter, den
gläsernen Menschen zu schaffen. Facebooks neueste Funktion richtet
sich nach den Wünschen vieler User, ihre Aktivitäten in dem sozialen
Netzwerk auszuweiten, das reale Leben virtuell zu dokumentieren und
abzubilden; zu speichern, was für sie in dieser Minute teilenswert
ist. „Timeline“ hebt das Leben in den virtuellen Raum – in Echtzeit,
und schafft damit eine komplette, fortlaufende Kopie des Alltags. Es
entsteht ein Lebensarchiv für jeden einzelnen Facebook-Nutzer. Die
Utopie ist Realität. Voilà, da ist sie, die virtuelle Parallele des
Lebens! Wenn Facebook nun auch in Deutschland auf „Timeline“
umstellt, ist nicht mehr das Eintrittsdatum des Users der Ursprung
eines jeden Profils, sondern die Geburt. Unter einer Art Titelbild
dominiert eine Zeitleiste die persönliche Seite, die alles Erlebte,
also Gepostete, in eine saubere Chronik ordnet. „Timeline“ übernimmt
jeden noch so beliebigen Kommentar, jede willkürliche Statusmeldung,
jedes bescheuerte Foto aus der Vergangenheit. Die Funktion schafft
maximale Transparenz. Wer sich heute mit einer Notlüge im Büro, im
Freundeskreis oder vor dem Partner behilft, fliegt häufiger auf als
zu analogen Zeiten. Wenn das Tempo immer schneller wird, dürfte es
zudem schwerer fallen, Missverständnisse auszuräumen, wenn kaum noch
eine Chance auf heilsame Kommunikationspausen besteht. Das
Durchstöbern eines Profils, das alles behält und alle Interaktionen
dokumentiert, erstickt bereits heute eine Liebe, bevor sie entflammt.
Wen dieses Szenario befremdet, sollte Distanz wahren – auch um die
zermürbende Hatz eines Lebens im Liveticker zu vermeiden.
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