Maßlosigkeit mag das Vorrecht alter Männer sein.
Aber es kann auch zum Verrat an sich selbst werden. Günter Grass
überschreitet diese Grenze. Der deutsche Literaturnobelpreisträger
hat sich mit einem politischen Beitrag – in lyrischer Gestalt – zur
Lage im Nahen Osten zu Wort gemeldet. Er ist dabei sehr kritisch und
sehr hart mit der israelischen Regierung ins Gericht gegangen, hat
ihre Atombewaffnung öffentlich thematisiert, U-Boot-Lieferungen an
Israel gegeißelt und vor den Folgen eines von Israel immer wieder
angedrohten und angeblich bereits für den Sommer geplanten
militärischen Schlags gegen echte oder vermeintliche
Atombomben-Anlage des Iran gewarnt. Schon die Heftigkeit und die
Struktur seiner lyrischen Worte konnten Anlass zu Kritik geben. Es
ist nicht sehr glücklich, wenn ein deutscher Schriftsteller vom
Grass“schen Format der Versuchung erliegt, sich zum Meinungsführer
gegen Israel zu machen. Das gilt auch und vor allem dann, wenn man in
der Sache durchaus begründeten Zweifel an der Richtigkeit der
israelischen Politik in der Region hat, haben muss; und auch dann,
wenn man der israelischen Regierung unterstellen muss, dass sie das
Machtvakuum einer durch die Präsidentschaftswahl im November
geschwächten US-Administration für einen Erstschlag nutzen will.
Dieses Mal allerdings geht Grass noch einen Schritt weiter und das
macht ihn mehr als sonst angreifbar. Man mag das in seinem
Gedicht-Titel „Was gesagt werden muss“ bereits anklingende
Stammtisch-Niveau des „Man wird das doch wohl noch sagen dürfen“ noch
durchgehen lassen als die überzogene Verbitterung eines alten Mannes,
der frustriert ist über den ungerechten Lauf der Geschichte. Dass
aber Grass der Versuchung nicht widersteht, die deutschen Medien
einer „gewissen Gleichschaltung“ zu zeihen und sie damit auf die
Ebene von Nazi-Medien zu heben, ist inakzeptabel. Man kann das dem
geschätzten Literaturnobelpreisträger und Autoren der Danziger
Trilogie nicht durchgehen lassen, weil man ihm die Zerstörung seines
Werks und seines Rufs nicht überlassen darf. In der Bundesrepublik
sind die Medien nicht gleich geschaltet. Und man darf in der
Bundesrepublik noch etwas sagen. Das ist auch und gerade im
Zusammenhang mit seinem Gedicht geschehen. Eine ganz andere Frage
ist, ob sich die deutschen Medien in ihrer Mehrheit dem Thema
angemessen genähert haben. Da gibt es immerhin Indizien, dass sie
eher den Skandal gesucht haben, anstatt sich dem Auftrag der
Aufklärung über die Vorgänge in Nahost zu verschreiben. Mag sein,
dass Grass gestern dazu provozieren wollte. Mit Nazi-Vergleichen wie
er sie nun benutzt allerdings erreicht er das nicht. Es sind dafür
die falschen Worte. Als der ehemalige GrassFreund Oskar Lafontaine
die Politik floh, rief ihm der Schriftsteller hinter her: „Halt“s
Maul! Trink deinen Rotwein!“ Man wünscht sich von dem
Nobelpreisträger mehr Klarheit in seinen Auftritten, damit ihm
niemand hinterherrufen muss.
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