Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Kroatien-Beitritt zur EU Auf Herz und Nieren JOHANN VOLLMER

Es mag abwegig klingen: Da hetzen die
Staatschefs der EU wie überforderte Küchenchefs von Krisenherd zu
Krisenherd, löschen mehr schlecht als recht die aufflammenden Feuer
in Irland, Portugal, Griechenland, Spanien und Zypern mit immer neuen
Finanzspritzen ab – und erweitern dann mit Kroatien auch noch die
eigene europäische Menükarte. Nicht wenige Bürger in Deutschland und
den anderen EU-Staaten glauben deswegen, dass das Modell der
Europäischen Union längst an seine Grenzen gekommen ist. Die 27
Mitgliedsstaaten sind politisch zerstritten, wirtschaftlich gespalten
und unbeweglich in ihren Reformen. Den Populisten, die lieber wieder
ihr kleines nationales Süppchen kochen wollen, wettern gegen den Euro
und den Staatenbund, und die Wähler laufen ihnen in Scharen zu. Vom
Traum der Vereinigten Staaten von Europa, die in der Welt mit einer
Stimme für Demokratie und Menschenrechte auftreten, ist die Union
weiter denn je entfernt. Der Beitritt Kroatiens ist dennoch eine
richtige Entscheidung. Europa steckt in seiner größten Krise, doch
seine politische Vision ist davon unangetastet. Das
Friedensversprechen mag bei den finanziellen Alltagssorgen der
Menschen wie eine leiernde Sonntagspredigt wirken. Aber gerade die
Gräueltaten im Balkankonflikt vor den Toren der EU haben uns gezeigt,
dass das Zusammenleben auf unserem Kontinent keine
Selbstverständlichkeit ist. Mit Kroatien käme das erste durch die
Jugoslawienkriege geschundene Land in die Europäische Union. Serbien
dürfte bald folgen. Die neuen Beitrittsländer werden dabei viel
schärfer, auf Herz und Nieren, geprüft als die frühen Mitglieder wie
etwa Griechenland vor mehr als 30 Jahren. So schwer verdaulich der
Einigungsprozess auch sein mag: Europa ist alternativlos. Es wird
Zeit, dass sich auch seine Kritiker daran erinnern.

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