Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Merkels Zukunft Es hängt am Euro ALEXANDRA JACOBSON, BERLIN

Krisen führen dazu, dass sich die Bevölkerung um
die Regierung schart. Deshalb verwundert es nicht, dass Angela
Merkels Beliebtheitswerte so hoch sind wie seit Herbst 2009 nicht
mehr. Interessant ist da schon eher, dass die Regierungspartei FDP
von diesem Trend gar nicht profitieren kann, sondern in den Umfragen
wieder um die parlamentarische Existenz bangen muss. Erfreulich ist
für Merkel die Nachricht, dass 58 Prozent der Bevölkerung ihr
Euro-Krisenmanagement gutheißen. Das Umfragehoch bedeutet aber nicht,
dass sich die Kanzlerin in diesem Sommer gemütlich zurücklehnen
könnte. Die Operation Eurorettung wird schwieriger: Dass Union und
FDP bei der Bundestagsentscheidung über den ESM-Rettungsschirm die
Kanzlermehrheit verfehlten, ist wegen der Unterstützung durch SPD und
Grüne kaum aufgefallen. Und doch manifestiert sich hier ein wichtiger
Trend. Die Sehnsucht nach einfachen Lösungen und nach populistischen
Deutungen angesichts einer unendlich komplizierten Thematik wird
stärker. Bisher hat sich von den im Bundestag vertretenen Parteien
zwar nur die Linkspartei in simple Formeln geflüchtet. Aber die
Versuchung ist überall sichtbar: Das zeigt die CSU, die immer wieder
in einen plumpen Oppositionsreflex gegenüber Merkels
europapolitischer Linie verfällt. Diese Anfälle gehen zwar vorüber,
aber nicht die zugrunde liegenden Stimmungen. Bohrende Fragen, aber
auch Vorurteile und Übertreibungen existieren nicht nur an dem
Wirtshaus-Stammtischen: 160 deutschsprachige Ökonomen unter Führung
des Ifo-Präsidenten Hans-Werner Sinn haben in einem Aufruf die
jüngsten EU-Beschlüsse zur Euro-Rettung verurteilt. Dass die
Wissenschaftler dabei etwas in Bausch und Bogen verdammen („Haftung
für Bankenschulden“), was gar nicht ausgehandelt wurde, ist
ärgerlich. Merkel muss es beunruhigen, dass allein die vage Aussicht
auf größere deutsche Kompromisse so viel Widerstand mobilisiert. Aber
auch in der SPD werden die Überlegungen stärker, ob es sich lohnt,
der Bundesregierung dauernd unter die Arme zu greifen. Die SPD steckt
in einem Dilemma. Macht sie aus taktischen Gründen bei der
Eurorettung nicht mehr mit, schadet das der Sache. Heben die
Sozialdemokraten jedoch immer weiter brav die Hand, verlieren sie als
führende Oppositionskraft Glaubwürdigkeit. Letzteres befürchten die
Genossen auch deshalb, weil die SPD sowieso noch kein richtiges
Rezept gegen Merkel gefunden hat. Je näher die nächste Bundestagswahl
rückt, desto weniger kann sich also die Bundeskanzlerin der
Unterstützung durch die Opposition sicher sein. Die Risiken für
Angela Merkel wachsen: Ihre Autorität und ihre politische Zukunft
hängen von dem Erfolg der Euro-Rettung ab. Es gibt sonst nichts
Vergleichbares. Innenpolitisch ist die schwarz-gelbe Koalition durch
so viel Streit und mühsames Klein-Klein gefesselt, dass die
Bundeskanzlerin daraus kaum Honig saugen kann. Es hängt alles am
Euro.

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