Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Parteitag der Grünen Im Wartestand ALEXANDRA JACOBSON, KIEL

Selten sind grüne Delegierte ihrer Parteiführung
so widerspruchslos gefolgt. Mit großer Disziplin haben sie sich in
Kiel durch die Antragsflut gekämpft und immer brav den Arm gehoben,
wenn die Vorlagen der Spitze abgesegnet werden sollten. Sie sind eben
auch eine normale, etablierte Partei: Genauso wie die SPD sehen sie
sich in der Opposition als Regierungspartei im Wartestand. Die
Flügelkämpfe im Berliner Landesverband erweisen sich in der Tat als
lokale Besonderheit. Die Grünen sehnen sich nach
Regierungsbeteiligung im Bund. Dass sie in den Umfragen ihre
Spitzenwerte verloren haben und kleinere Brötchen backen müssen, war
ihnen in Kiel leider kein (selbst-)kritisches Wort wert. Die Zeichen
stehen schon eindeutig auf Wahlkampf. Und da funktionieren die
machtpolitischen Reflexe einwandfrei. Vorsitzender Cem Özdemir trimmt
die Partei auf stärkere Wirtschaftsnähe. Dass der Handwerkschef
Holger Schwannecke erstmals auf einem grünen Parteitag eine Rede
hielt, dürfte vor allem der FDP Schmerzen bereiten. Gezielt werben
die Grünen um die ehemals liberale Klientel. Ein Einfallstor haben
sie gefunden: Die Enttäuschung über die von Schwarz-Gelb bisher nur
halbherzig umgesetzte Energiewende verdrießt das Handwerk. Ob sich
die kleinen Mittelständler jedoch auch für die grünen
Steuererhöhungen erwärmen, ist offen. Das wäre auf Handwerksseite ein
Bruch mit bisherigen Glaubenssätzen. Profiliert hat sich in Kiel auch
Jürgen Trittin als Verfechter einer seriösen Finanzpolitik ohne
falsche Versprechungen. Im Schatten stehen derzeit die beiden
Führungsfrauen Claudia Roth und Renate Künast. Ob es deshalb 2013 für
eine alleinige Spitzenkandidatur von Jürgen Trittin reicht, ist aber
nicht ausgemacht. Denn eine Übervater-Rolle wie einst Joschka Fischer
hat sich Trittin noch nicht erkämpft.

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