Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar: Reichtum in Deutschland Armutszeugnis HANNES KOCH, BERLIN

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen gibt sich
große Mühe, der sozialen Entwicklung in Deutschland etwas Positives
abzugewinnen. Im neuen Bericht über Armut und Reichtum schildern ihre
Mitarbeiter, dass mehr Menschen arbeiten und die Zahl der
Hartz-IV-Empfänger sinkt. Ja, es gibt Fortschritt. Und nicht jede
Hiobsbotschaft, die die Auflösung der Mittelschicht verkündet, trifft
zu. Trotzdem ist der Befund über die soziale Lage in Deutschland
erschreckend. Die Hälfte der Bevölkerung hat kaum noch Anteil am
Vermögen des Landes. Zudem sinkt ihr Einkommen. Wohlhabende
profitieren dagegen überproportional. Sie bestimmen über den großen
Teil der sagenhaften zehntausend Milliarden Euro, die Privatleute
angehäuft haben. Deutschland steht zwar noch nicht auf einer Ebene
mit Nicaragua oder Mexiko. Im Vergleich zu den meisten Ländern
herrscht bei uns eine halbwegs ausgewogene Verteilung von Einkommen
und Vermögen. Doch steht zunehmend ein Versprechen der sozialen
Marktwirtschaft in Frage: „Wer arbeitet, kann aufsteigen und
teilhaben.“ Stattdessen machen viele Menschen heute die Erfahrung,
dass alle Anstrengung nichts nutzt. Ihre Löhne stagnieren oder
sinken. Dies ist kein individuelles Problem. Die Ursache liegt in
fragwürdigen ökonomischen Entscheidungen der Bundesregierungen. Seit
2000 sinkt die Lohnquote, das Verhältnis von Einkommen aus
nichtselbständiger Arbeit zum Volkseinkommen. Regierung und
Wirtschaft waren sich einig, dass Arbeit in Deutschland zu teuer ist,
um auf dem Weltmarkt bestehen zu können. So richtig dieser Befund
damals gewesen sein mag, so sehr wurde die daraus entwickelte Politik
überzogen. Minijobs, Leiharbeit, Niedriglohn und Reallohneinbußen auf
breiter Front gefährden nicht nur den sozialen Frieden, sondern
befeuern mittelbar auch die Finanzkrisen.

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