Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar: Stilllegung von Atomkraftwerken
Von Angst befeuert<

Die Bundesregierung hat sich das Recht
zugebilligt, sieben Atommeiler vorübergehend stillzulegen. Daran sind
Fragen zu richten. Erste Frage: Durfte sie das? Bis die Juristen des
Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) diese Frage beantworten
hilft das Atomgesetz. In einem Rechtsstaat leben muss dieser
belastende Verwaltungsakt der Aufsichtsbehörde eine Rechtsgrundlage
haben: In Paragraph 19 des Atomgesetzes steht, dass die Atomaufsicht
das darf, um, so wörtlich, einen Zustand zu beseitigen, aus dem sich
durch die Wirkung ionisierender Strahlen Gefahren für Leben,
Gesundheit oder Sachgüter ergeben können. Dazu kann sie den Betrieb
eines Atomkraftwerks (AKW) „einstweilen“ einstellen. Endgültig darf
sie das erst dann, wenn die Genehmigung für die Anlage rechtskräftig
widerrufen ist. Aber auch die Einstweilige Einstellung lässt Fragen
offen. Gibt es seit den Ereignissen in Japan neue Erkenntnisse zur
Sicherheit der AKW? Gibt es doch strahlungsbedingte Gefahren für
Leben, Gesundheit und Sachgüter der Bundesbürger? Hat sich die
Situation hier nach der umstrittenen Verlängerung der AKW-Laufzeiten
dramatisch geändert? Falls nein, bleiben nur zwei Möglichkeiten:
Entweder die Anlagen waren schon vor der Laufzeitverlängerung
unsicher. Dann hätte die schwarz-gelbe Mehrheit unverantwortlich
gehandelt. Oder von den Anlagen geht weiterhin keine Gefahr aus. Dann
gibt es keine sachliche Grundlage für die Anwendung des Paragraphen
19 und das aufsichtsbehördliche Eingreifen. Es gibt also aus
schlichter Logik gute Gründe für den Verdacht, dass es sich um eine
politische Entscheidung handelt. Die ist allerdings bei Angela Merkel
(CDU) und ihren politischen Freunden auch von Angst befeuert. Nicht
von der vor ionisierender Strahlung aus deutschen AKWs, sondern von
der vor dem Wählerwillen. Schwarz-Gelb ahnt, dass das Vertrauen in
das regierungsamtliche Mantra von den deutschen als den sichersten
AKWs der Welt bei den Wählerinnen und Wählern nicht mehr verfängt.
Immer breitere Kreise interessieren sich außerdem für die Frage,
wohin atomare Abfälle entsorgt werden sollen. Sie registrieren, dass
das Szenario von den Lichtern, die in Deutschland ohne Atomstrom
ausgehen, eher Propaganda als Realität ist. Handelt es sich aber um
eine politische Entscheidung der Bundesregierung und nicht um ein
Eingreifen des Bundesministers Norbert Röttgen als Aufsichtsbehörde,
dann führt kein Weg daran vorbei, dass das Parlament beteiligt werden
muss. Dann müssen die Regierung und die sie tragenden Parteien der
Öffentlichkeit darlegen, warum und wie sie die Ereignisse in Japan
zum Umdenken veranlasst haben und wie es weitergehen soll. Bis dahin
gilt, egal wie jeder Einzelne zur Nutzung der Atomenergie steht: Die
Bundeskanzlerin ist ein paar Antworten schuldig.

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