Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Verfassungsgericht verhandelt über Rettungsschirm Kluge Richter WOLFGANG MULKE, BERLIN

Das Bundesverfassungsgericht steht vor einer
kniffeligen Aufgabe. Dabei geht es um mehr als den Inhalt der
umstrittenen Gesetze zum Euro-Rettungsschirm und der Schuldenbremse
im Währungsraum. Die Richter stellen sich der Frage, ob sie stur auf
den Buchstaben des Grundgesetzes schauen oder ob sie eine
Weiterentwicklung der demokratischen Gesellschaft hin zu einer
weitergehenden europäischen Union zulassen, obwohl damit womöglich
rote Linien in der Verfassung übertreten werden. Das Verfahren wird
dadurch erschwert, dass ein beträchtlicher Zeitdruck besteht, weil
die Finanzmärkte mit der anhaltenden Unsicherheit für eine
Verstärkung der Krise sorgen könnten. Insofern ist der sich
abzeichnende Weg, den die Karlsruher Verfassungshüter gehen wollen,
eine kluge Entscheidung. Sie prüfen die kritischen Fragen intensiver,
als es bei einem Eilverfahren üblich ist. Damit dauert es zwar länger
bis zu einer ersten Entscheidung. Doch dieser Spruch wird eine Art
Vorentscheidung für das gesamte Verfahren darstellen, also genügend
Sicherheit für die so wichtigen Märkte bieten. Unabhängig vom Ausgang
dieses Streits um die Verlagerung von Kompetenzen auf europäische
Instanzen ist die Bundesregierung am Zug. Sie muss der Bevölkerung
erklären, welches Europa sie anstrebt, welche Risiken dafür
eingegangen werden sollen und wer diese am Ende tragen wird, wenn das
Experiment scheitern sollte. Dazu gehört am Ende auch der Mut, das
Volk über diese Vorstellungen abstimmen zu lassen. Denn nur so lässt
sich der längst eingeschlagene Weg auch entsprechend dem Sinn der
Verfassung demokratisch legitimieren. Dies würde am Ende auch dem
Bundesverfassungsgericht die Verantwortung nehmen, die aus gutem
Grund eigentlich die Regierung tragen sollte. Dazu gehört aber Mut
und eine Idee, für die einzutreten sich lohnt.

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