Neue Westfälische (Bielefeld): Neue Westfälische, Bielefeld:
KOMMENTAR
Der Aufstand gege

Es könnte alles so einfach sein. Würden doch nur
alle Deutschen die Wahrheit über die Atomkraft kennen. Der
schnellstmögliche Ausstieg ist die einzig vernünftige Lösung – würde
dann die Schlussfolgerung lauten, oder: Die Nutzungsdauer dieser
Brückentechnologie gehört unbedingt verlängert. Doch die Gemengelage
ist unübersichtlich und macht die persönliche Positionsbestimmung zur
Glaubensfrage. Die beherrscht auch die Diskussion um die Endlagerung
des Atommülls. Unerschütterlichen Optimismus stellt etwa Eon zur
Schau. „Technisch ist die Frage nach dem Verbleib von radioaktiven
Abfällen bereits gelöst“, heißt es auf der Website des
Energieversorgers. Eine Aussage, die Vernunftbegabte nur schwer
nachvollziehen können. Da ist zum Beispiel das Endlager Asse II, in
dessen Salzstollen rund 126.000 Atommüllfässer lagern. Und in dessen
Stollen seit mehr als 20 Jahren unplanmäßig Grundwasser sickert. Vor
gut einem Jahr gab das Bundesamt für Strahlenschutz dann Entwarnung:
Es sei ohne Gefahr für Bergleute und Bevölkerung möglich, die mit
leicht- und mittelschwer radioaktiven Abfällen gefüllten Fässer aus
600 Metern Tiefe zurück an die Oberfläche zu holen. Schönheitsfehler:
Umweltminister Röttgen rechnet dafür mit Kosten von knapp 3,7
Milliarden Euro. Wo die Fässer anschließend endgelagert werden sollen
ist außerdem unklar, wie die Kosten und Risiken weiterer Lager.
Morsleben (Heimat von 30.000 Kubikmetern Atommüll) wird seit 1998
nicht mehr genutzt, weil es als stark einsturzgefährdet gilt. Noch
drei Jahre zuvor hatte die damalige Bundesumweltministerin Angela
Merkel – vielleicht sogar im festen Glauben daran – versichert, es
„gebe kein Sicherheitsdefizit“. Dass es in der alten Salzgrube heute
plätschert und bröckelt, hat indes keinen Einfluss auf die
Marschroute der Regierung. Mit unerschütterlichem Glauben setzt man
auf die weitere Erkundung in Gorleben – ausgerechnet in einem alten
Salzstock. Bis es Klarheit gibt, rollen die Container nur bis in die
oberirdische Betonhalle des Zwischenlagers. Eine „Revolution“ der
Energiepolitik hatte Merkel trotz dieses Hintergrunds die
Laufzeitverlängerung genannt und damit nicht nur Gegner der Atomkraft
erzürnt. Obendrein bekommt die passend zu ihrer überraschenden
Renaissance ein weiteres Imageproblem. Denn auch die Herkunft des in
deutschen Atomkraftwerken genutzten Urans ist unklar. Allein 2009
wurden fast 3.400 Tonnen des radioaktiven Stoffs importiert, vor
allem aus Großbritannien und Frankreich. Letzteres bezieht wiederum
einen Großteil aus dem westafrikanischen Niger, wo Arbeits- und
Naturschutz nach Erkenntnis von unabhängigen Beobachtern Fremdworte
sind. Am Ende hilft Kritikern wie Befürwortern nur ihr Glaube. Der
Glaube daran, mit Großdemonstrationen (wie am heutigen Samstag in
Berlin) die Politik zum Atomausstieg zu bewegen. Oder aber der
Glaube, dass die Atomkraft nötig, sicher und ungefährlich ist – und
bleibt, bis die Altlasten der Technik in mehreren hunderttausend
Jahren ausgestrahlt haben.

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