Neue Westfälische (Bielefeld): Neue Westfälische (Bielefeld) zu: Fluglotsenstreik

Neue Westfälische (Bielefeld) zu:
Fluglotsenstreik

Alle Räder stehen still. . .

STEFAN SCHELP

Die Frage stellt sich in jeder Tarifauseinandersetzung aufs Neue:
Von welchem Moment an, in welcher Konstellation ist ein Arbeitskampf
gerechtfertigt? Sind es die 6,5 Prozent Lohn und Gehalt mehr, die den
Fluglotsen verweigert werden? Ist es das Ausbleiben von Angeboten der
Arbeitgeberseite? Ist es der Eindruck, durch juristische Schachzüge
immer wieder ausgebremst zu werden? Ist es das Gefühl, dass gar
nichts anderes mehr geht? Kein Wunder, dass die Arbeitgeber von der
Deutschen Flugsicherung und der Bundesverkehrsminister von
„unverantwortlichem Handeln“ der Gewerkschaften sprechen, dass den
Kampfeswilligen vorgehalten wird, sie inszenierten einen „Luxusstreik
einer kleinen Gruppe“. Wer so argumentiert, erweckt den Eindruck,
dass ihm die Angst im Nacken sitzt. Einen Ausstand der Fluglotsen hat
es in Deutschland noch nie gegeben. Das liegt vermutlich weniger
daran, dass in der Vergangenheit die Kontrahenten so überaus
kompromissbereit gewesen wären. Es liegt vielmehr an den engen
juristischen Grenzen, die der Staat der Branche gesetzt hat. Da
braucht es Gerichtsentscheidungen in mehreren Instanzen, da müssen
Schlichtungstermine akzeptiert werden. Das ist gut so, denn ein
Streik der Fluglotsen hat erhebliche Wucht. 3.000 Starts, Landungen
und Überflüge sind in den Wind geschrieben, betroffen sind 400.000
Reisen-de. Chaos an den Flughäfen ist damit programmiert, da helfen
noch so viele Notfallpläne nicht. Diese Wucht ist es natürlich, die
das Instrument des Streiks für die Arbeitnehmerseite so verlockend
macht. Gewerkschafter zahlreicher anderer Branchen wünschen sich
vermutlich sehnsüchtig, dass ihre Streikdrohung einen vergleichbaren
Wirbel verursacht. Bei der Kampfansage der Fluglotsen schwingt noch
etwas mit von der alten Drohgebärde der Arbeiterschaft, die da hieß:
„Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will.“ Und das
ironischerweise ausgerechnet in einer Branche, die hoch
technologisiert ist. Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben es darauf
ankommen lassen, nach monatelangen Verhandlungen in einen
Tarifkonflikt mitten in der Urlaubsreisezeit zu laufen. Auf
Solidaritätsbekundungen gestrandeter Urlauber auf deutschen und
Ferienflughäfen werden die streikenden Lotsen nicht hoffen dürfen.
Doch auch dies gehört zu den ewig gleichen Fragen der
Tarifauseinandersetzung. Was wiegt schwerer? Die Wutattacken der
Urlauber, die nicht in die Ferien und zurück nach Hause kommen, oder
die drohenden Mehrkosten der Reise- und Urlaubsbranche?

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