Neues Deutschland: Berlinale

Heute beginnt die Berlinale. Unwichtig angesichts
Tunis, Kairo? Dort flimmert“s Machthabern vor den Augen; Völkern
dämmert“s, im falschen Film zu sein, Verhältnisse treten aus ihren
angespannten Rollen. Und wir reden, an prononcierter Zeitungsstelle,
vom Kino?

Ja, mit aller nur möglichen Überlänge! In Zeiten von Aufständen
über Kino zu reden, ist eine Bitte um Vorsicht beim Reden über
menschliche Bedürfnisse. Die Welt soll hell sein, aber der Mensch
träumt auch gern im Dunkel, bei geöffneten Augen.
Licht-Spiel-Theater. Ein Wort wie Tempel oder Rose oder Bier.

Gerechtigkeit zu schaffen, ist überall das Überfällige, am
gerechtesten geht es zu, wo das Überflüssige frei atmet: Kunst, das
Kinderspiel, das tausend Namen hat. Die Menschheit ist nur dort
erwachsen, also vernünftig, wo Menschen ihr erwachsenes Gesicht
vergessen dürfen. Überzeugungstäter ins Kino! Dort könnten sie
endlich wieder Überraschungsopfer sein. Entspanntheit vorausgesetzt,
sonst findet Entspannung nicht statt.

Schönstes Wort der Berlinale: Wettbewerb – so gesagt, dass keiner
an Konkurrenz denkt. Zur Ruhe kommen können, denn für uns laufen die
Filme. Vergnügung ist der höchste Sinn. Im palästinensischen Jenin
wurde ein aus Bombentrümmern erbautes Kino zum Zeichen unbesiegbarer
Lust; das schafft ein neues Parteibüro nicht.

Bis hierher, in brodelnder Welt, ein Berlinale-Text, in dem das
Wort Politik nicht vorkam. Fehlte es denn?

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