Neues Deutschland: Zur „Multikulti“-Debatte

Tatsächlich hat sich die Schlagzahl, mit der
Konservative ihr verstaubtes und elitäres Deutschlandbild im Land
verbreiten, in den letzten Wochen beträchtlich erhöht. Nach Thilo
Sarrazins Provokation insbesondere gegen in Deutschland lebende
Muslime hatten Seehofer und die CDU-Familienministerin Kristina
Schröder mit ihren Stichworten zu angeblicher
»Deutschenfeindlichkeit« hier lebender Migranten und gegen eine
»Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen« weiteres Öl ins Feuer
gegossen. Die Bundeskanzlerin hat sich diesem Tenor nun mit
unheimlicher Offenheit angeschlossen. Daran ändern auch
relativierende Nebenbemerkungen nichts, mit denen die Kanzlerin
dennoch der Äußerung von Bundespräsident Christian Wulff
beipflichtete, auch der Islam gehöre zu Deutschland. Merkel wie all
die anderen Unionspolitiker wissen – müssten jedenfalls wissen -,
dass ihre Kampfansage an »Multikulti« ein Lockruf für chauvinistische
Ressentiments in der Gesellschaft ist. Dass sie sich dabei vermutlich
von kurzfristigen parteitaktischen Erwägungen leiten lassen, um die
Union aus einem Umfragetief herauszuholen, mildert die Sache nicht.
Die Union ist weniger Getriebener als Antreiber von
fremdenfeindlichen Stimmungen in Teilen der Bevölkerung. Diese
Stimmungen werden durch eine irrationale Gegenüberstellung von
Multikulti und Integration – vor allem sogenannter »Leistungsträger«
– brandgefährlich bedient. Zu spüren bekommen wird dies der in
Deutschland eingebürgerte oder hier in einer Migrantenfamilie
geborene Fußballspieler ebenso wie Millionen Menschen inmitten
unserer Gesellschaft. Die Attacken gegen »Multikulti« beheben keine
Schwachstellen mangelnder Integration – genauer: mangelhafter
Integrationspolitik – sie locken die Kanaille im Volk. Und sie sind
ein Affront gegen all jene, die sich nachbarschaftlich um
tatsächliche Hilfe bei der Integration in unsere Gesellschaft
bemühen: in eine friedliche, tolerante und kulturvolle Gesellschaft,
in der jegliches rassistische Gift, das gerade von Deutschland aus so
viel Leid und Unheil angerichtet hat, nachhaltig entsorgt sein
könnte. Und in ein Land, so bunt wie seine Fußballer.

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