Mit diesem Vorstoß haben sich Union, FDP und SPD im
Bundestag keinen Gefallen getan: Ihr Plan, Abweichlern in den eigenen
Reihen das Rederecht zu beschneiden, hätte zwar im parlamentarischen
Alltag nur begrenzte Auswirkungen – Dissidenten sind schon jetzt die
Ausnahme. Aber es geht ums Prinzip, gegen das hier auf bedenkliche
Weise verstoßen wird: Wer so wie Schwarz-Rot-Gelb aus
machtpolitischem Kalkül die freie Debatte einschränken will, der
verstößt nicht nur gegen den Geist des Parlamentarismus, er schadet
auch dem Ansehen des Bundestags. Die parlamentarische Demokratie lebt
von der Debatte, von Rede und Gegenrede. Die ist ohnehin schon
ritualisiert. Das ist gar nicht mal verwerflich: Es kann nicht jeder
zu allem reden, sonst legt sich das Parlament selbst lahm. Der
Bundestag mit seinen über 600 Abgeordneten braucht Fraktionen, die
Entscheidungen vorbereiten, Abläufe abstimmen, verlässliche
Mehrheiten organisieren – der Konflikt mit der Unabhängigkeit des
Abgeordneten ist in der Praxis unausweichlich. Aber auf die richtige
Balance kommt es an. Wer Abgeordnete mundtot machen will, die gegen
die Fraktionsmeinung abstimmen, erstickt die Debattenkultur. Die
Mehrheit muss es ertragen, dass es andere Überzeugungen gibt – in der
Debatte um die Euro-Rettung, die den Anstoß gegeben hatte zu den
aktuellen Plänen, haben eher zu wenig als zu viele Parlamentarier
ihre Bedenken öffentlich gemacht. Bislang gibt es – abgesehen von
einigen Auftritten der Linken – auch keine Hinweise , dass solche
Erklärungen den Parlamentsbetrieb behindert hätten. Aber sicher ist,
dass dieser Maulkorb dem Parlament schaden würde. Gut, dass Präsident
Lammert sich zur Wehr setzt. Noch besser wäre es, der Bundestag
stellte sich mit breiter Mehrheit gegen seine Entmündigung. Nein zur
Maulkorb-Ordnung – das wäre eine Blamage vielleicht für Union, FDP
und SPD, aber ein großartiges Bekenntnis zur lebendigen Demokratie.
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