NRZ: Kindern eine Stimme geben – ein Kommentar von KATRIN MARTENS

Papier ist geduldig. Die UN-Kinderrechtskonvention
ist auf einem solchen Papier geschrieben. Dort heißt es, Kinder haben
ein Recht auf Bildung, ein Recht auf Gleichbehandlung, ein Recht auf
eine gewaltfreie Erziehung. Die Bundesrepublik hat diese Konvention
schon vor 20 Jahren ratifiziert, doch viele Kinder in unserem Land
spüren in ihrem Alltag nur wenig davon. 2,6 Millionen von ihnen leben
auf Sozialhilfeniveau, beklagt das Kinderhilfswerk Unicef. Das ist
fast jedes sechste Kind. Rund 150.000 Kinder unter 15 Jahren werden
jährlich von ihren Eltern körperlich misshandelt. Kinder armer
Familien haben häufiger Schulprobleme und schlechtere Chancen auf
eine gute Ausbildung als der Nachwuchs aus besser gestellten
Elternhäusern.

Auch wenn Deutschland ein Land mit extrem niedriger
Kindersterblichkeit, ein Land mit Schulpflicht und vielfältigen
Freizeitangeboten ist, haben Kinder hierzulande nicht die Lobby, die
ihnen gut täte. Ein Kinderbeauftragter könnte ihnen den Rücken
stärken und ihnen im politischen Tagesgeschäft eine Stimme geben.

Zwar gibt es seit 1988 im Bundestag die Kinderkommission, doch
ihre Macht ist begrenzt. Ihr Vorsitz rotiert regelmäßig, und sie kann
nur handeln, wenn alle Mitglieder derselben Meinung sind. Marlene
Rupprecht, die die Verfassungsänderung für den Einsatz eines
Kinderbeauftragten vorgeschlagen hat, ist als Kinderbeauftragte der
SPD-Fraktion selbst Mitglied der Kinderkommission. Sie weiß um deren
geringe Effektivität.

Ein Kinderbeauftragter hätte die Chance, für die Dauer einer
Legislaturperiode oder darüber hinaus, der personifizierte Blick aufs
Kinderinteresse zu sein. Er (oder sie) hätte die Chance, die
Bekämpfung der Kinderarmut anzumahnen, sich für Bildungsgerechtigkeit
und Gleichberechtigung von Flüchtlingskindern einzusetzen. Es wäre
ein wichtiger Schritt, ebenso wichtig wie die Aufnahme der
Kinderrechte ins Grundgesetz.

Damit unser Land, das eins der kinderärmsten der Welt ist,
kinderfreundlicher wird, braucht es allerdings mehr als einen
Beauftragten in Berlin. An vielen Orten in Deutschland fehlt es noch
an der Erkenntnis, dass eine Gesellschaft nur dann zukunftsfähig ist,
wenn man in ihre jüngsten Glieder investiert.

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