Ostsee-Zeitung: Kommentar zu Karlsruhe

Eile ist die Tüchtigkeit von Stümpern,
philosophierte schon der amerikanische Schriftsteller Ambrose Bierce
vor etwa 100 Jahren. Genau vor diesem Fehler hütete sich gestern das
oberste deutsche Verfassungsgericht. Indem sich die Karlsruher
Richter mehr Bedenkzeit einräumten, bremsten sie gegen den
ausdrücklichen Willen der Regierung den permanenten Rettungsschirm
ESM aus. Eigentlich sollte der noch in diesem Monat in Kraft treten.
Tatsächlich scheint die europäische Politik unter einer Zwangsneurose
zu leiden – nämlich, dass immer neue Zahlungen an notleidende Banken
und Staaten fließen müssen – und das möglichst schnell. Von daher ist
es zu begrüßen, wenn Karlsruhe die panisch anmutende Krisenhast
entschleunigt. Die Richter sind nicht gewillt, die Grundlagen unseres
Gemeinwesens durch angeblich alternativlose Notprogramme vorschnell
aufweichen zu lassen. Ihre verordnete Atempause ist ein Signal, die
im Grundgesetz verankerten Rechte des Parlaments sehr ernst zu
nehmen. Es kann nicht sein, dass die Finanzmärkte die Politik vor
sich hertreiben.

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Jan-Peter Schröder
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