Ostsee-Zeitung: Kommentar zum deutschen WM-Patriotismus

Ob Fahnenmeer, Autokorso, Deutschland-Farben auf
allen möglichen und unmöglichen Körperteilen – fast ganz Deutschland
schwelgt in einem schwarz-rot-goldenen Patriotismus. Noch vor einem
Jahrzehnt hätte diese patriotische Welle vielleicht alarmierte
Diskussionen über eine drohende Wiederkehr des deutschen
Nationalismus ausgelöst. Doch spätestens seit dem WM-Sommermärchen
von 2006 in Deutschland war allen klar: Diese Fans wollen mit ihrem
neu entdeckten Nationalgefühl „nur spielen“. Nein, dies ist kein
brachialer Hurra-Patriotismus, der noch die Jahre um die beiden
Weltkriege prägte, im Kampf der Kulturen und Ideologien mündete und
in Auschwitz endete. Dieser schwarz-rot-goldene Rausch ist ein ebenso
fröhlicher wie ungefährlicher Party-Patriotismus. Er wertet andere
Völker und Nationen nicht ab, er ist keine germanische Volkstümelei.
Dieser Patriotismus stärkt eher den Zusammenhalt in Zeiten der
Globalisierung. Die Deutschland-Fahne war keine Truppenflagge und die
Hymne kein Schlachtensong. Deutschland war einfach nur bunt. Die WM
am Zuckerhut hat geholfen, Patriotismus neu zu definieren. Die
Deutschen begeistern sich heute wie selbstverständlich für ein Team,
in dem Spieler nicht nur Müller und Neuer heißen, sondern auch Özil
und Boateng. Dennoch – so viel ist klar – wird das Land weiter
Probleme mit der Integration haben. Diese gut vierwöchige WM war nur
ein Wimpernschlag der Geschichte. Aber vielleicht ein besonderer. Die
Deutschen werden nicht mehr so selbstquälerisch mit ihrer Geschichte
umgehen wie noch die Generation ihrer Eltern und Großeltern. Und das
ist gut so.

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Jan-Peter Schröder
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