EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat in ihrer ersten Rede zur Lage der Union (SOTEU) ihrer zweiten Amtszeit mit Blick auf die globale Krise zu Geschlossenheit und einem gemeinsamen Kampf Europas aufgerufen. „Einen Kampf für unsere Werte und unsere Demokratien. Einen Kampf für unsere Freiheit und dafür, dass wir selbst über unser Schicksal bestimmen können“, sagte von der Leyen vor dem Europäischen Parlament. „Deshalb trete ich heute für Geschlossenheit ein. Geschlossenheit der Mitgliedstaaten untereinander. Geschlossenheit der EU-Institutionen.“ Dies müsse der Moment der europäischen Unabhängigkeit sein. Europa müsse fähig sein, seine Verteidigung und Sicherheit selbst in die Hand zu nehmen und Kontrolle haben über Technologien und Energieträger, die seine Volkswirtschaften antreiben.
Russland soll für seinen Krieg bezahlen
Mit Blick auf die russische Invasion in die Ukraine schlug die Kommissionspräsidentin einen neuen Ansatz vor: „Dies ist Russlands Krieg. Und Russland sollte dafür bezahlen. Deshalb müssen wir dringend an einer neuen Lösung arbeiten, um auf Grundlage der eingefrorenen russischen Vermögenswerte die ukrainischen Kriegsanstrengungen zu finanzieren. Auf Basis der liquiden Anteile könnten wir der Ukraine ein Reparationsdarlehen gewähren. Die Vermögenswerte selbst bleiben unberührt. Und das Risiko wird gemeinsam getragen. Die Ukraine wird das Darlehen erst zurückzahlen, wenn Russland Reparationszahlungen leistet.“
Von der Leyen kündigte zudem eine neues Programm Qualitative Military Edge an. Es soll Investitionen in die Fähigkeiten der ukrainischen Streitkräfte unterstützen. „Wir können die Stärke unserer Industrie nutzen, um die Ukraine bei der Abwehr des Drohnenkriegs zu unterstützen. Wir können dazu beitragen, ukrainischen Erfindergeist zum Vorteil in den Kampfgebieten werden zu lassen – und zu einer gemeinsamen Produktion. Deshalb kann ich auch ankündigen, dass Europa 6 Milliarden Euro aus dem ERA-Darlehen vorziehen und eine Drohnen-Allianz mit der Ukraine eingehen wird. Die Ukraine verfügt über den Erfindergeist. Aber was jetzt gefragt ist, ist die Fähigkeit zu Skalieren. Zusammen können wir das ermöglichen. Damit die Ukraine ihren Vorsprung behält und Europa seinen eigenen Vorsprung stärkt“, so von der Leyen.
In ihrer Rede erinnerte die Kommissionspräsidentin auch an das Schicksal der ukrainischen Kinder und betonte: „Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um den ukrainischen Kindern zu helfen. Deshalb kündige ich an, dass ich gemeinsam mit der Ukraine und weiteren Partnern einen Gipfel der Internationalen Koalition für die Rückkehr ukrainischer Kinder organisieren werde. Jedes entführte Kind muss zurückgebracht werden.“
Volle Solidarität mit Polen – Länder im europäischen Osten schützen ganz Europa
Die Kommissionspräsidentin sicherte Polen mit Blick auf die Verletzung des polnischen und europäischen Luftraums durch mehr als zehn russische Drohnen volle Solidarität zu und erklärte: „Putins Botschaft ist klar. Und wir müssen eine klare Antwort geben. Wir brauchen mehr Druck auf Russland, damit das Land an den Verhandlungstisch kommt.“
Von der Leyen sagte weiter: „Ohne jeden Zweifel kann man sagen: Die Länder im europäischen Osten schützen ganz Europa. Von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. Deshalb müssen wir investieren, um diese Länder mit einer Eastern Flank Watch zu unterstützen. Das bedeutet, dass wir Europa mit unabhängigen strategischen Fähigkeiten ausstatten müssen. Wir müssen in weltraumraumgestützte Echtzeit-Überwachung investieren, damit keine Truppenbewegung unbemerkt bleibt. Wir müssen den Appellen unserer baltischen Freunde nachkommen und den Drohnenwall errichten. Das sind keine abstrakten Pläne. Das ist die Grundlage einer glaubwürdigen Verteidigung.“ Europa werde jeden Quadratzentimeter seines Territoriums verteidigen, so die Kommissionspräsidentin.
Inakzeptable Situation in Gaza: Aussetzung der bilateralen Unterstützung für Israel und Sanktionen angekündigt
Zur Lage in Gaza bekräftigte von der Leyen, eine menschengemachte Hungersnot dürfe niemals als Kriegswaffe dienen. Was in Gaza geschehe, sei inakzeptabel. Europa könne sich keine Lähmung leisten, deshalb werde die Kommissionspräsidentin ein Maßnahmenpaket vorschlagen: „Erstens: Die Kommission wird alles in ihrer Macht Stehende selbst tun. Wir werden unsere bilaterale Unterstützung für Israel aussetzen. Wir werden alle Zahlungen in diesen Gebieten stoppen – ohne dass sich dies auf unsere Arbeit mit der israelischen Zivilgesellschaft oder Yad Vashem auswirkt. Zweitens: Wir werden dem Rat zwei weitere Vorschläge unterbreiten. Wir werden Sanktionen gegen die extremistischen Minister und gegen gewalttätige Siedler vorschlagen. Und wir werden auch eine teilweise Aussetzung des Assoziierungsabkommens im Bereich des Handels vorschlagen. Mir ist bewusst, dass es schwierig werden wird, Mehrheiten dafür zu finden. Und ich weiß, dass jede dieser Maßnahmen für manche zu weit geht und für andere nicht weit genug. Doch wir alle müssen unserer Verantwortung gerecht werden – Parlament, Rat und Kommission. Drittens: Wir werden nächsten Monat eine Gebergruppe für Palästina ins Leben rufen und dabei auch ein Instrument für den Wiederaufbau des Gazastreifens schaffen.“
Fahrplan für den Binnenmarkt bis 2028 und Förderung von „Made in Europe“
Mit Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung in Europa erinnerte von der Leyen an die Chancen des europäischen Binnenmarktes: „Unser größtes Pfund ist der Binnenmarkt – doch er ist nach wie vor unvollendet. Die Barrieren sind zu hoch – nach Schätzungen des IWF entsprechen sie einem Zoll von 45 Prozent bei Gütern. Und einem Zoll von 110 Prozent bei Dienstleistungen.“ Die Kommission werde deshalb einen Fahrplan für den Binnenmarkt bis 2028 vorlegen.
Die Kommissionspräsidentin kündigte zudem einBatterie-Booster-Paket an.Damit werden 1,8 Milliarden Euro bereitgestellt, um die Produktion in Europa zu fördern. Und bei der Vergabe öffentlicher Aufträge soll künftig das Kriterium „Made in Europe“ gelten.
Pakete für erschwingliche Lebenshaltungskosten
Vor dem Hintergrund der stark angestiegenen Lebenshaltungskosten kündigte von der Leyen Maßnahmen in vier Bereichen an: Energie, Wohnraum, Autos und Lebensmittel.
Zu den Energiekosten sagte von der Leyen: „Wir wissen, was die Preise in die Höhe getrieben hat: die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus Russland. Es ist also an der Zeit, diese schmutzigen russischen fossilen Brennstoffe loszuwerden. Und wir wissen, wie wir die Preise senken können: mit sauberer Energie aus heimischen Quellen. Wir müssen selbst mehr erneuerbare Energie erzeugen – mit Kernenergie für die Grundlast. Aber wir müssen auch dringend modernisieren und in unsere Infrastruktur und unsere Verbindungsleitungen investieren. Deshalb werden wir ein neues Netzpaket vorschlagen, um unsere Netzinfrastruktur zu verbessern und die Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Außerdem stelle ich heute eine neue Initiative für „Energieautobahnen“ vor. Wir haben acht kritische Engpässe in unserer Energieinfrastruktur identifiziert. Vom Øresund bis zur Straße von Sizilien. Wir werden nun daran arbeiten, diese Engpässe nacheinander zu beseitigen.“
Noch in diesem Jahr werde die Kommission zudem den ersten europäischen Plan für erschwinglichen Wohnraum vorstellen, um Wohnen erschwinglicher, nachhaltiger und hochwertiger zu machen. „In diesem Sinne werden wir den ersten EU-Wohnraumgipfel einberufen, damit dieses Thema ganz oben auf unserer Agenda steht“, so von der Leyen. In Bezug auf bezahlbare Lebensmittel kündigte die Kommissionspräsidentin an, die Umsetzung der Rechtsvorschriften über unlautere Handelspraktiken zur überprüfen und das Werbebudget für eine neue Kampagne „Buy European Food“ aufzustocken.
Auch Autos stehen im Fokus der Kommission. Die Kommissionspräsidentin bekräftigte: „Sie sind eine Säule unserer Wirtschaft und unserer Industrie. Der Stolz Europas. Millionen Arbeitsplätze hängen davon ab. Anfang des Jahres haben wir der Industrie mehr Flexibilität eingeräumt, um die Ziele für 2025 zu erreichen. Das funktioniert. Jetzt bereiten wir die Überprüfung für 2035 vor und respektieren dabei den Grundsatz der Technologieneutralität. Und Millionen Menschen in Europa wollen bezahlbare europäische Autos kaufen. Deshalb sollten wir auch in kleine, bezahlbare Fahrzeuge investieren. Sowohl für den europäischen Markt als auch zur Deckung der steigenden weltweiten Nachfrage. Deshalb werden wir vorschlagen, mit der Industrie an einer neuen Initiative für kleine, bezahlbare Autos zu arbeiten. Ich denke, Europa sollte ein eigenes E-Auto auf den Markt bringen.“ Die Zukunft der Autos müsse in Europa geschrieben werden – und die Autos der Zukunft müssen in Europa hergestellt werden, so von der Leyen weiter.
Freie Presse ist das Rückgrat jeder Demokratie
Abschließend kündigte die Kommissionspräsidentin an, mehr zum Schutz der unabhängigen Presse in Europa zu tun. Dazu gehören ein neues Programm für Medienresilienz zur Unterstützung des unabhängigen Journalismus und der Medienkompetenz, denn „eine freie Presse ist das Rückgrat jeder Demokratie. Und wir werden die europäische Presse unterstützen, frei zu bleiben“, so von der Leyen. Zum Kampf gegen Informationsmanipulation und Desinformation soll zudem ein neues Europäisches Zentrum für demokratische Resilienz eingerichtet werden.
Weitere Informationen:
Rede zur Lage der Union 2025 auf Deutsch (https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/speech_25_2053)
Website zur Lage der Union 2025 (https://commission.europa.eu/strategy-and-policy/state-union/state-union-2025_de)
„Lage der Union 2025 – Vom Versprechen zum Fortschritt: erstes Amtsjahr“ (https://commission.europa.eu/document/063b9179-036b-43c1-be52-416e9437a08a_de)
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