Rangliste der Pressefreiheit 2010: Europäische Staaten fallen weiter zurück / Wachsende Gegensätze i

Die Lage der Medienfreiheit in Europa hat sich
weiter verschlechtert. Dies zeigt die heute veröffentlichte Rangliste
der Pressefreiheit 2010 von Reporter ohne Grenzen (ROG). Der bereits
bei der Rangliste 2009 festgestellte Abwärtstrend einiger süd- und
südosteuropäischer Staaten setzt sich im aktuellen ROG-Ranking fort.

Auch bei den EU-Gründungsstaaten Frankreich und Italien hat sich
diese Entwicklung bisher nicht umgekehrt. Gleichzeitig beobachtet ROG
bei der Lage der Pressefreiheit wachsende Unterschiede zwischen den
EU-Mitgliedsländern. Zwischen den drei am besten platzierten
EU-Ländern an der Spitze des Rankings – Finnland, die Niederlande und
Schweden – und den am schlechtesten platzierten – Bulgarien, Türkei –
liegen rund 70 Positionen. Die Situation auf den untersten Positionen
der Rangliste ist fast unverändert: Birma, Iran, Turkmenistan,
Nordkorea und Eritrea sind erneut die Schlusslichter. Neu
hinzugekommen zu der Gruppe der zehn repressivsten Staaten der Welt
sind in diesem Jahr der Sudan und Ruanda.

Mit der Rangliste 2010 wird die Situation der Pressefreiheit in
178 Staaten und Regionen weltweit verglichen. In die Bewertung wurden
Verstöße gegen dieses Menschenrecht im Zeitraum von September 2009
bis August 2010 einbezogen.

Vorreiterrolle der europäischen Staaten weiter geschwächt

Rund die Hälfte der 27 EU-Mitgliedsstaaten sind unter den 20
führenden Ländern der aktuellen Rangliste. Die Schere innerhalb der
Staatengemeinschaft geht jedoch stark auseinander. So liegen zwölf
EU-Länder, also fast die Hälfte, zwischen dem 30. und 70. Rang. Am
stärksten gefallen ist Griechenland (2009: Platz 35, 2010: Platz 70).
Damit bildet das südeuropäische Land gemeinsam mit Bulgarien (2009:
Platz 68, 2010: Platz 70) das Schlusslicht unter den EU-Staaten. In
Griechenland waren körperliche Angriffe bei Demonstrationen und
Drohungen gegen Journalisten ein Grund für die Abwärtsbewegung.

Auch bei den EU-Gründungsstaaten Frankreich (2009: Platz 43, 2010:
Platz 44) und Italien (2009 und 2010: Platz 49) gibt es keine
Indizien für eine Verbesserung der Situation: Grundlegende Probleme
wie die Verletzung des Quellenschutzes, die zunehmende Konzentration
von Medieneigentum sowie gerichtliche Vorladungen von Journalisten
dauern an.

„Es ist beunruhigend festzustellen, wie einige EU-Mitgliedstaaten
weiter Plätze in der Rangliste verlieren“, so ROG-Generalsekretär
Jean-François Julliard. „Wenn die EU-Staaten keine Anstrengungen
unternehmen, setzen sie ihre weltweit führende Position bei der
Einhaltung von Menschenrechten aufs Spiel. Die europäischen Staaten
müssen dringend ihre Vorbildfunktion wiedererlangen“, appelliert
Julliard.

Deutschland steht in diesem Jahr – fast unverändert – auf Platz 17
(2009: Platz 18): Wie auch in anderen EU-Staaten wurden
Redaktionszusammenlegungen und Stellenstreichungen negativ bewertet.
Der Zugang zu Behördeninformationen bleibt ebenfalls unzureichend. Zu
weiteren Kritikpunkten gehörten unter anderem das Strafverfahren
gegen zwei Leipziger Journalisten in der so genannten
Sachsensumpf-Affäre.

Anlass zur Sorge bietet darüber hinaus die Entwicklung der Türkei.
Nachdem sich der EU-Anwärter schon im Index 2009 um 20 Plätze
verschlechtert hatte, folgt in diesem Jahr ein weiterer Rückfall um
16 Ränge. Damit steht das südeuropäische Land auf Position 138 (2009:
Platz 122). Ins Gewicht fielen bei der schlechten Platzierung die
Klagen gegen Journalisten sowie Festnahmen und Verurteilungen von
Medienmitarbeitern zu Gefängnisstrafen. Die Türkei gerät somit in
unmittelbare Nachbarschaft zu Russland (2009: Platz 153, 2010: Platz
140).

Zensur, Gewalt und Repressionen gehören nach wie vor zum Alltag
vieler kritischer Journalisten in der Russischen Föderation. Die
Mordserie im Erhebungszeitrum der vorherigen Rangliste hat sich
allerdings nicht wiederholt. Eine äußerst schwierige Situation der
Pressefreiheit dokumentiert ROG zudem seit vielen Jahren auf dem
Balkan. Besonders kritisch ist die Lage in Serbien (Platz 85), im
Kosovo (Platz 92) und in Montenegro (Platz 104). Drohungen gegen
Journalisten und der steigende Einfluss krimineller Gruppen auf
Medienunternehmen erschweren die Arbeit von Medienschaffenden in
Südosteuropa erheblich.

Die repressivsten Staaten

Seit 2005 stehen Eritrea (Platz 178), Nordkorea (Platz 177) und
Turkmenistan (Platz 176) ganz unten auf der Liste. Eine systematische
Verfolgung von unabhängigen Medienschaffenden und ein vollständiges
Fehlen von Nachrichten und Informationen kennzeichnet die Lage in den
Ländern seit mehreren Jahren. „Wir sehen leider keine Verbesserung in
den autoritären Staaten“, so Julliard. „Wir sind besorgt über den
harschen, repressiven Kurs einiger Regierungen von Ländern am unteren
Ende des Rankings.“

Die Situation hat sich besonders in Ruanda (2009: Platz 157, 2010:
Platz 169) und im Sudan (2009: Platz 148, 2010: Platz 172)
verschärft. Die beiden Länder im Osten und Nordosten Afrikas sind
deswegen auf die zehn hintersten Ränge gefallen. In Ruanda fielen
zusätzliche Zensurmaßnahmen und Schließungen von Medien vor der
Präsidentschaftswahl im August 2010 sowie die Ermordung eines
Journalisten ins Gewicht. Im Sudan hat die Regierung ihre Überwachung
der Printmedien deutlich verstärkt, mehrere Journalisten wurden
verhaftet und eine oppositionelle Tageszeitung wurde geschlossen.

Auch Birma (Platz 174) rangiert wieder unter den letzten zehn
Staaten. Auf Versuche von Journalisten, Nachrichten jenseits von
Propaganda zu veröffentlichen, reagieren die Behörden mit Gefängnis
und Zwangsarbeit. Es gibt erste Anzeichen dafür, dass sich die Lage
angesichts der im kommenden Monat bevorstehenden Parlamentswahl noch
verschärfen wird.

Nicht wesentlich verändert haben sich darüber hinaus die
Positionen der Volksrepublik China (2009: Platz 168, 2010: Platz
171), des Irans (2009: Platz 172, 2010: Platz 175) und Syriens (2009:
Platz 165, 2010: Platz 173). Die starke Wirtschaftsmacht China nimmt
immer noch nicht ihre Verantwortung bei der Wahrung der
Menschenrechte wahr. Anlässlich der Bekanntgabe der Verleihung des
diesjährigen Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo hat die Regierung
wieder ihre starre Haltung manifestiert: Medienberichte über die
Preisvergabe wurden zensiert, Unterstützer Lius festgenommen.

Im Iran haben die Menschenrechtsverletzungen gegen Journalisten
und Blogger und die staatliche Zensur in diesem Jahr ein noch
größeres Ausmaß erreicht. Mehr als 200 Medienschaffende sind seit
Sommer 2009 aus der Islamischen Republik geflüchtet.

In Syrien lassen weit greifende Mechanismen zur Kontrolle von
staatlichen und privaten Medien, repressive Pressegesetze und die
Unterdrückung von oppositionellen oder kritischen Journalisten so gut
wie keine Freiräume mehr für unabhängige Meinungsäußerung.

Lesen Sie hier die ausführliche Pressemitteilung:
http://bit.ly/ayfmeY

Detaillierte Informationen zur ROG-Rangliste sowie zu einzelnen
Regionen finden Sie hier: http://bit.ly/Rangliste_2010

Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Anja Viohl
Pressearbeit
presse@reporter-ohne-grenzen.de
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T: +49 (0)30 202 15 10 – 16
F: +49 (0)30 202 15 10 – 29